Ricki – Wie Familie so ist

Zum Vergrößern klicken

Eine nicht mehr ganz so junge Rocker-Mutter, eine suizidgefährdete Tochter, ein überforderter Ex-Mann. Sie alle waren einmal eine Familie. Doch dann trennten sich ihre Wege. Erst der aus Liebesschmerz entstandene Selbstmordversuch des Sprösslings bringt alle wieder näher zusammen. Was wie das Grundgerüst eines erwartbaren Familiendramas klingt, veredelt ein Team aus Oscar-Preisträgern zu einer sehenswerten, erfreulich kitsch- und klischeearmen Tragikomödie. Bereits die Besetzung mit dem echten Mutter-Tochter-Gespann Meryl Streep und Mamie Gummer lässt aufhorchen. Noch interessanter wird „Ricki – Wie Familie so ist“, wenn man auf die Credits für Regie (Jonathan Demme) und Drehbuch (Diablo Cody) blickt.

Webseite: www.rickiwiefamiliesoist.de

OT: Ricki and the Flash
USA 2015
Regie: Jonathan Demme
Drehbuch: Diablo Cody
Darsteller: Meryl Streep, Mamie Gummer, Kevin Kline, Rick Springfield, Audra McDonald
Laufzeit: 101 Minuten
Verleih: Sony
Kinostart: 3.9.2015

FILMKRITIK:

Im Leben von Linda (Meryl Streep), die eigentlich lieber unter ihrem Künstlernamen Ricki angesprochen werden will, ging der Weg nicht immer geradeaus. Sie wurde Mutter – gleich drei Mal –, doch so recht die Mutterrolle annehmen, das wollte sie nicht. Ihre erste und vielleicht auch größte Liebe galt vielmehr der Musik. Eine Karriere als Rock’n’Roll-Star, als weiblicher Keith Richards, das war ihr großer Traum. Tatsächlich steht sie mit ihrer Cover-Band „Ricki and the Flash“ allabendlich in einer zusammen mit ihrem Publikum bereits etwas in die Jahre gekommenen Rock-Bar auf der Bühne. Bandkollege Greg (80iger-Rocker Rick Springfield) ist schon länger scharf auf sie und sie eigentlich auch auf ihn. Da ahnt sie aber noch nicht, dass sich ihre Tochter Tausende Kilometer entfernt im beschaulichen Indiana (Mamie Gummer) das Leben nehmen will. Erst der Anruf ihres Ex-Mannes (Kevin Kline) katapultiert Ricki urplötzlich zurück in ihr altes Leben.
 
Während eine tättowierte, zur Rock’n’Rollerin aufgestylte Meryl Streep in die Provinz und damit in Rickis Vergangenheit reist, ahnt man als Zuschauer, dass der Besuch alte Wunden aufreißen und so manch verdrängten Konflikt neu entfachen wird. Tatsächlich hält das Skript von „Juno“-Mastermind Diablo Cody zunächst die üblichen Zutaten eines Mutter-Tochter-Dramas bereit. So fällt die erste Begegnung zwischen beiden eher distanziert aus – auch weil Tochter Julie nach ihrem Selbstmordversuch noch mit Antidepressiva vollgepumpt ist. Der Freund hat sie für eine andere verlassen. Da reichen tröstende Worte des überforderten Vaters verständlicherweise nicht aus. Allerdings dauert es nicht allzu lange, bis sich die für viele Jahre zerrissene Familie allmählich wieder aufeinander zubewegt.
 
Auch wenn Cody dieses Mal vieles weniger schrill ausformuliert und dabei auf altkluge Belehrungen meist verzichtet, so ist ihre seit „Juno“ Oscar-gekürte Handschrift doch unverkennbar. Vor allem weil sich in „Ricki – Wie Familie so ist“ gleich mehrere Themen ihrer früheren Arbeiten vermischen. Es geht um Elternschaft, das Suchen der Mutterrolle, die Rückkehr nach Zuhause, verpasste Chancen und geplatzte Träume. Cody portraitiert ihre dysfunktionale Patchwork-Familie jederzeit mit voller Empathie und stiller Bewunderung. Denn eigentlich waren die Bande zwischen Mutter und Tochter zu keiner Zeit wirklich gekappt. Dass ausgerechnet das echte Mutter-Tochter-Gespann Meryl Streep und Mamie Gummer hier aufeinander trifft, ist für den Film ein echter Glücksfall. Beide harmonieren wie es wohl selbst die besten Schauspieler nur schwerlich könnten. Ihre Szenen sind das Herz dieser mehr in den dramatischen als in den komischen Augenblicken überzeugenden Familiengeschichte, die zuallererst vom Rhythmus des Rock’n’Roll angetrieben wird.
 
Die Musikparts zählen dann auch zweifellos zu den emotionalen Höhepunktens des von Jonathan Demme angenehm geradlinig inszenierten Films, von dem nicht zuletzt Meryl Streeps Auftritt und ihre jederzeit glaubhafte Verwandlung in eine an sich zweifelnde Rock-Lady in Erinnerung bleibt. Drei Wochen probte die Oscar-Preisträgerin mit ihren Bandkollegen – unter ihnen 80’s-Rocker Rick Springfield und Neil Young-Bassist Rick Rosas –, was sich für die Geschichte als absoluter Gewinn entpuppt. Streep hat nicht nur ihre E-Gitarre im Griff sondern einmal mehr auch die von Declan Quinn geführte Kamera. Demme wiederum schöpft aus seinen Erfahrungen als Doku- und Konzertfilmer. In der Intimität der Musik – man denke nur an Streeps und Springfields elektrisierendes Duett zu „Drift Away“ und an die finale Rocknummer „My love will never let you down“ – findet „Ricki – Wie Familie so ist“ zu echtem Gefühl und Größe.
 
Marcus Wessel