Rise Up

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Die Lage ist schlecht, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt: Corona, Ukraine-Krieg, Inflation, Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit. Viele Baustellen gibt es, doch was kann der oder die Einzelne tun? Diese Frage stellt sich in „Rise Up“ ein Autorenkollektiv, zeigt Möglichkeiten des Widerstands gegen ein System, das immer mehr Menschen als ungerecht erscheint.

Webseite: https://www.riseup-film.de/

Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel
Buch: Marco Heinig
Dokumentarfilm

Länge: 88 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 27. Oktober 2022

FILMKRITIK:

Zwei der letzten Bilder von „Rise Up“ zeigen eine kleine grüne Pflanze, die auf kargem Boden sprießt, und zwei junge Frauen mit Maschinengewehren. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich ein Film, der weniger Dokumentation, als Agitation ist, der fünf Menschen vorstellt, die für ihre Träume gekämpft haben bzw. dies immer noch tun. Sie und ihre Arbeit werden im Film vorgestellt, während sich ein selbstreflexiver Kommentar fragt, ob Protest Sinn macht.

Einmal um die Welt führt „Rise Up“, unter anderem nach Südafrika, wo Shahida Issel einst gegen die Apartheid kämpfte – und gewann. In Los Angeles hilft der Afro-Amerikaner Kali Akuno Öko-Genossenschaften aufzubauen, während die Deutsche Marlene Sonntag im nördlichen Irak kurdische Frauen beim Kampf gegen den IS unterstützt. Judith Braband wuchs in der DDR auf, gehörte seit Beginn der 80er zur Opposition und half mit, den Runden Risch zu organisieren, der schließlich zur Wiedervereinigung führte. Und schließlich Camila Cáceres, die in Chile mithalf, die Massenproteste zu organisieren, die gegen die alte, noch aus den Zeiten der Pinochet-Diktatur stammende Verfassung protestierten.

„Am Ende brannte das ganze Land. Und es war wunderschön“ sagt Cáceres einmal mit leuchtenden, feuchten Augen, deren Tränenfilm vielleicht den Blick auf die Realität verstellt. Denn wie so oft erwies sich auch in Chile, dass es leichter ist, Proteste anzustacheln, für eine gewisse, meist kurze Zeit, viele Menschen zu mobilisieren, aber viel, viel schwieriger, tatsächlich substanziellen Wandel einzuleiten. Denn vor wenigen Wochen, im September 2022,  scheiterte die Volksabstimmung über eine neue Verfassung, wie es weitergeht wird die Zukunft zeigen.

Immerhin kam es in dem lateinamerikanischen Land überhaupt zu einem Referendum, anders etwa als im Zuge der Occupy Wall Street-Proteste, der massenhaften Fridays for Future-Demonstrationen, der Proteste auf zahllosen G7, G8 oder G20-Gipfeln, die eindrucksvolle (oder, je nach Blickwinkel, verstörende) Bilder lieferten – und bald verpufften.

„Noch nie in der Geschichte der Menschheit, war ein gutes und freies Leben so greifbar wie heute“ behauptet die Erzählerstimme am Ende von „Rise Up.“ Am Anfang hatte sie in bester „Trainspotting“ Manier aufgezählt, zu welchen Produkten, Mustern und Methoden des modernen Kapitalismus sie Ja sagt und sich gefragt, ob ein anderes Leben möglich ist. Vor allem: Ob sich Protest, ob sich aufstehen, ob sich empören, um Stéphane Hessals Essay zu zitieren, überhaupt lohnt.

Die im Film vorgestellten Beispiele geben eine klare Antwort: Natürlich. Die Komplexität der Thematik, die Schwierigkeit, Proteste dann auch tatsächlich in substanziellen gesellschaftlichen Wandel umzusetzen, bleibt allerdings ausgespart. Die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt, oder, um es mit „Rise Up“ zu: „Eine Welt, die verändert wird, von Träumenden.“ Ob zu träumen allerdings reicht, um die Ungerechtigkeiten der modernen Welt zu bekämpfen?

 

Michael Meyns