In seinem Debütfilm beschreibt Tuna Kaptan wechselseitige Notlagen, die zum Tod eines Mannes geführt haben. Lügen und Vertuschungen bestimmen das Leben eines deutschen Bauleiters, der auf dem titelgebenden „Rohbau“ fahrlässig agiert hat und sich nun vor den Konsequenzen drückt. Ein Sozialdrama, dessen Konflikte etwas zu gewollt ablaufen, um aus der Masse vergleichbarer Filme herauszustechen.
Rohbau
Deutschland 2023
Regie: Tuna Kaptan
Buch: Fentje Hanke
Darsteller: Peter Schneider, Angjely Prenci, Kasem Hoxha, Sebastian Gerold, Michael Kranz, Janina Elkin
Länge: 86 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 26. September 2024
FILMKRITIK:
Eine Baustelle, irgendwo im Süden der Republik, ein Rohbau, harte Arbeit. Wie so oft sind es auch hier Schwarzarbeiter, die zur Senkung der Kosten Verwendung finden, deren Notlage ausgenutzt wird. So auch von Projektleiter Lutz (Peter Schneider), der mit mäßigem Erfolg versucht, im Leben voran zu kommen, nach höherem strebt und dafür Risiken eingeht.
Eines Nachts kommt ein Schwarzarbeiter ums Leben, Lutz lässt die Leiche verschwinden, in der seltsamen Annahme, dass niemand davon erfährt. Doch am nächsten Tag steht das albanische Mädchen Irsa (Angjela Prenci) auf der Baustelle, die Tochter des Toten. Mit fadenscheinigen Erklärungen lässt sie sich nicht abweisen, immer wieder taucht sie im für Lutz unglücklichsten Moment auf, wird zur Gefahr für dessen Expansionspläne.
Erst nimmt er sie bei sich auf, versucht sie mit Lügen abzuspeisen, doch Irsa bleibt hartnäckig. Schließlich nimmt Lutz sie in seinem Kleinbus mit, Albanien ist das Ziel. Auf der Reise entwickelt sich ansatzweise fast eine Freundschaft zwischen dem ungleichen Duo, doch irgendwann muss unweigerlich die Wahrheit herauskommen.
Zwei Menschen, die aus Notlagen heraus agieren: Der namenlose Albaner, der nach Deutschland kam, um mit schlecht bezahlter, illegaler Arbeit genug Geld zu verdienen, um sich und seiner Familie in der Heimat, ein Haus zu bauen. Und der deutsche Projektleiter Lutz, der sich mit allzu gewagten Projekten schon fast ruiniert hat und nun eine letzte Chance hat. Doch um diese zu verwirklichen, um den Illusionen von ambitionierten Bauten näher zu kommen, ignoriert er die Regeln und nutzt die Notlage von Migranten aus.
Kein schlechter Ansatz für ein Sozialdrama, dass Tuna Kaptan nach einem Drehbuch von Fentje Hanke inszeniert. Im Mittelpunkt steht dabei ein Mann ohne Eigenschaften, die Figur eines Projektleiters, die blass und unnahbar bleibt, die Hauptdarsteller Peter Schneider fast ohne emotionale Regung spielt, so als würde dieser Lutz – kein Vor- sondern ein Nachname – schlafwandlerisch durch sein Leben taumeln.
Seltsame Entscheidungen trifft er immer wieder, um die Geschichte am Laufen zu halten; das er offenbar glaubt, mit dem Versenken einer Leiche im Fluss, seine Probleme beseitigt zu haben, deutet an, wie planlos Lutz agiert, aber auch, welche Volten das Drehbuch schlagen muss, um die beiden Figuren zusammen ins Auto und nach Albanien zu bekommen.
In dieser Fremde entstehenden die überzeugendsten Momente in „Rohbau“, wenn Lutz auf einmal selbst der Fremde ist und auf die Hilfe von Fremden angewiesen ist. Immer schwerer lastet das Geheimnis seiner Tat auf seinen Schultern, während sich Irsa auf ein Wiedersehen mit dem Vater freut, das nicht stattfinden wird. Einen freundlichen Ausweg aus dieser Situation kann es nicht geben, am Ende werden zwei Menschen zurückbleiben, die alles verloren haben.
Michael Meyns