Sâdhu

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Seit vielen Jahren bereist der Schweizer Filmemacher und Journalist Gaël Métroz die ganze Welt. Nachdem er 2008 für seine erste Doku „Nomad‘s Land“ die verschwindende Welt der Nomaden auf Film festhielt, verbrachte Métroz die nächsten Jahre mit Sâdhus, den heiligen Männern Indiens. Mit Suraj Baba fand er einen Hauptdarsteller, der seine Vorstellungen über indische Spiritualität ins Wanken brachte.

Webseite: www.arsenalfilm.de

OT: Sâdhu – Seeker of Truth
Schweiz 2012
Regie und Buch: Gaël Métroz
Kamera: Gaël Métroz
Lauflänge: 87 Minuten
Englisch und Hindi mit Untertiteln
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 22. August 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Eine Grotte im Himalaya auf 3200 Höhenmetern ist seit acht Jahren das Zuhause des Sâdhu Suraj Baba. Täglich meditiert er am Ufer des Ganges und praktiziert Yoga. Die hagere Gestalt mit den langen Haaren und dem verwilderten Bart scheint die gängigen Klischees der heiligen Männer Indiens zu bestätigen, die sich der Armut und Keuschheit verschreiben und zurückgezogen nach innerer Wahrheit und Erleuchtung suchen. Aber Suraj Baba ist anders: Wenn er Englisch spricht, seine Brille aufsetzt und zur Akustikgitarre selbst geschriebene Folksongs singt, ähnelt er eher dem jungen Cat Stevens. Dass Suraj Baba anders ist als andere Sâdhus, spürt er selbst bei der Kumbh Mela, der weltweit größten religiösen Zusammenkunft, die alle zwölf Jahre am Ganges stattfindet. Suraj ist auch hier Außenseiter. Aber er stellt sich seinen inneren Dämonen und begibt sich auf eine 18 Monate währende Pilgerfahrt, die ihn über Nepal Richtung Tibet führt.

Was ist ein Heiliger? Was gelebte Spiritualität? In der Vorstellung des säkularisierten Westens, der das Vernunftdenken zu seiner Maxime erhoben hat, sind Antworten auf diese Fragen nicht erst seit den Hippies der späten Sechziger in Indien zu suchen. Schon Hermann Hesse und sogar Goethe interessierten sich für die indisch-hinduistische Kultur und ihre tief im Alltag verankerte Versenkung im Glauben. Auch Gaël Métroz wandelt in seinem Film auf den Spuren dieser Sehnsucht nach überweltlichem Sein – und hinterfragt sie gleichzeitig durch seinen Hauptdarsteller.

Denn dieser Suraj Baba, Sohn einer bürgerlichen Familie, der fließend Englisch spricht, Hesse liest und westliche Musik liebt, ist keineswegs frei von Widersprüchen. Offenherzig spricht er von seinen inneren Kämpfen, von seinen Ängsten und Unsicherheiten. Suraj Baba betreibt zwar Askese und Yoga, ist aber doch auch Teil unserer Welt und ihrer Uneindeutigkeit. So sieht der Film die bei der Kumbh Mela versammelte Elite der indischen Sâdhus sehr kritisch. Die Konferenz der heiligen Männer wirkt eher wie ein großes Geschäft, bei dem es den verschiedenen Schulen darum geht, sich als die allein selig machende zu präsentieren.

Suraj Baba wandert weiter und wird sich bewusst, dass er seinen ganz eigenen Weg gehen muss. In gewisser Weise wird er erst jetzt zum Einsamen, denn die spirituelle Kultur, der er entspringt, ist ihm nicht mehr wirklich Heimat. Suraj Baba setzt sich bewusst den Verlockungen der Welt aus. Die Suche nach der Wahrheit zählt, nicht das geglaubte Wissen darum. Gaël Métroz lässt den Zuschauer an dieser Suche teilhaben. Er erzählt seinen Film durch Bilder, die in sich selbst durchlässig und für Interpretationen offen sind. Je weiter der Weg führt, je höher es in Gebirge geht und je mehr Suraj Baba wieder auf sich selbst zurückgeworfen wird, desto näher kommt ihm Métroz‘ Kamera. Das Ringen um den eigenen Weg schreibt sich diesen fast psychedelisch wirkenden Bildern ein. Ein echter Heiliger, das ist in diesem Film jemand, der sich selbst infrage stellt.

Oliver Kaever

Suraj Baba ist ein Hindu. Aber kein gewöhnlicher, sondern einer, der religiös viel weiter geht als andere. Ein Sadhu, ein „Heiliger“. Er lebt im Himalaya auf mehreren tausend Meter Höhe, allein und unter den einfachsten Verhältnissen. Er hat keine Hütte, sondern wohnt in einer Höhle. Ein kleines Licht gibt es, aber keinerlei Energie.

Die Meditation, das Gebet, die Gottheit, das Streben nach Weisheit, die mögliche Vorbereitung auf die Reinkarnation, das sind für ihn Kategorien, die zählen. Das Armuts- und Keuschheitsgelübde ist Voraussetzung für einen Sadhu, einen „Wahrheitssucher“.
Schon seit acht Jahren lebt der Eremit so auf dem Berg.

Fragen und Zweifel bleiben bei ihm nicht aus: ob all diese Entbehrungen notwendig sind; ob es richtig ist, allein zu leben; ob diese meditative, von allem losgelöste Lebensweise ihn weiter bringt.

Ist Suraj Baba also ein orthodoxer Sadhu? Die Frage stellt sich, denn er ist nicht nur in sich gekehrt, sondern interessiert sich auch für die Welt, den Westen, die Kunst, die Philosophie, die Rockmusik.

Er will nach acht Jahren seinen Berg verlassen und an der Kumbha Mela teilnehmen, jenem alle zwölf Jahre am Ganges stattfindenden Pilgertreffen, zu dem Millionen Menschen zusammen kommen.

Vieles ist ihm dort fremd. Und tatsächlich besteht diese tagelange Veranstaltung nicht nur aus Spiritualität, sondern ist auch ein Riesengeschäft. Der Zwiespalt erfasst damit unwillkürlich auch ihn.

Suraj Baba ist ein lebendiger Zeuge dieser keineswegs eindeutigen spirituellen und materiellen Verhältnisse. Der Regisseur hätte keinen besseren auswählen können. Der Gegensatz zwischen außen und innen, zwischen Welt und Weisheit, zwischen Business und Meditation, in diesem formal einfachen aber aussagekräftigen Dokumentarfilm wird er deutlich.

Thomas Engel