Scham

Rigoros und preisgekrönt – das gilt auch für den dritten Streich, das Kinodebüt des jungen Filmschaffenden Lukas Röder. Erzählt wird in dem Psycho-Kammerspiel von Aaron (28) und seiner Mutter Susanne (60), die sich vier Jahre nicht gesehen haben. Jetzt konfrontiert der Sohn sie mit seiner Vergangenheit: Häusliche Gewalt. Fehlendes Verständnis. Sexueller Missbrauch. Doch überraschend geht die Mutter in die Offensive. Auch Aaron hütet einige düstere Geheimnisse. Ein Psychothriller, der ans Eingemachte geht. „Ein Film, über den man reden muss!“ heißt es bei der Verleihung Festival Max Ophüls Preis für einen der aktuell wohl aufregendsten Regisseure!

 

Über den Film

Originaltitel

Scham

Deutscher Titel

Scham

Produktionsland

DEU

Filmdauer

86 min

Produktionsjahr

2025

Verleih

missingFILMs – Acrivulis & Severin GbR

Starttermin

25.09.2025

 

„Ich wollte ein ganz normales Leben für meinen Sohn. Aber normal war nicht gut genug für dich!“ – „Ja, da hast du recht!“ So klingen die Dialoge zwischen dem achtundzwanzigjährigen Aaron und seiner sechzigjährigen Mutter Susanne. Vier Jahre lang herrschte völlige Funkstille zwischen den beiden. Nun kehrt der Sohn aus Berlin in sein Elternhaus nach Bayern zurück, um über die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend zu sprechen. In einem Notizblock hat er einen ganzen Fragenkatalog für sein persönliches Trauma-Tribunal vorbereitet. „Warum hast du mich früher so oft angeschrien?“, wird er fragen. Oder er wird klagen, dass er es damals als normal empfunden habe, von seiner Mutter verprügelt zu werden, weil jeder Konflikt durch Gewalt gelöst wurde.

Zur Überraschung von Aaron (und dem Publikum!) lässt sich Susanne nicht so leicht in die Täterrolle drängen. Bald geht sie in die Offensive und konfrontiert den Sohn ihrerseits mit Vorwürfen: „Denkst du, es war leicht mit dir? 18 Jahre lang kein Danke, nichts!“, sagt die Mutter. Oder: „Du hast mir das Leben zur Hölle gemacht, und jetzt kommst du daher mit deinen Vorwürfen!“

Wie ein Puzzle wird das gesamte Familiendrama langsam zusammengesetzt. Wie in einem Kaleidoskop ergeben sich aus den Teilen immer neue Konstellationen. Die Gespräche des Mutter-Sohn-Kammerspiels finden dabei meist über Handy und Facetime statt – selbst wenn sich beide im selben Raum befinden. Zur weiteren Verfremdung dient bisweilen ein Split-Screen, bei dem beide Personen wirken, als säßen sie direkt nebeneinander.

Aaron erzählt von seiner ersten großen, unerfüllten Liebe als Teenager, vom Mobbing in der Schule, das ihn zum Außenseiter machte und in den Alkohol trieb. Und er berichtet vom Missbrauch durch den Cousin eines Freundes. Doch vom Opfer zum Täter ist es oft nur ein kleiner Schritt, wie immer deutlicher wird. Dass er als Kind einer Mitschülerin brutal den Arm bricht, ist da nur der Anfang. Heute empfindet Aaron rückblickend die titelgebende Scham. Susanne wird später ihrerseits von Misshandlungen in ihrer Beziehung berichten.

Ob die gegenseitigen, harten Anschuldigungen noch einen gemeinsamen Ausweg aus dem Teufelskreis der Vorwürfe ermöglichen? Immerhin leiden alle Beteiligten unter der gemeinsam erlebten Vergangenheit. „Ich will einfach herausfinden, weshalb wir aufgehört haben, Mutter und Sohn zu sein“, sagt Aaron irgendwann. „Ich will von dir nicht mehr gehasst werden. Ich halte es nicht mehr aus“, lautet das Fazit der Mutter – und: „Wir haben alles versucht.“

Als eine „streng formale Arbeit über die unauflösbar zwiespältige Beziehung zwischen Mutter und Sohn“ bezeichnet Lukas Röder sein Kinodebüt. Mit der erfahrenen Heike Hanold-Lynch und dem jungen Til Schindler hat er eine eindrucksvolle Besetzung für diese emotionale Tour de Force gefunden. Mit Leinwandpräsenz und großer Glaubwürdigkeit machen sie das karge Kammerspiel zu einer emotionalen Achterbahnfahrt der fordernden Art.

Für sein Studenten-Debüt „Gehirntattoo“ gewann der Jungfilmer gleich den „Hofer Goldpreis“. Für sein nächstes Werk, das mittellange queere Drama „Langer Langer Kuss“, erhielt er eine Einladung zur Berlinale. Da ist es nur konsequent, dass Lukas Röder beim diesjährigen Max-Ophüls-Festival, dem Talentschuppen des deutschsprachigen Kinos, erneut auf dem Siegertreppchen stand. Seinen Namen sollte man sich ebenso merken wie den seines talentierten Darstellers Til Schindler.

 

Dieter Oßwald

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