Schoßgebete

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Unverblümt und unpathetisch wird die Geschichte einer Frau erzählt, die mit beinahe wütendem Humor ihr Unglück bekämpft: Elizabeth ist hyperneurotisch, aber sie versucht, ein möglichst normales Leben zu führen. Ihre diversen Ängste und traumatischen Erinnerungen kann sie nur beim Sex vergessen.
Sönke Wortmann hat den Bestseller von Charlotte Roche mit viel Gespür für Timing und Wirkung inszeniert. So ist ein flotter, stellenweise sehr witziger Film entstanden, der auf angenehme Weise Tiefgang beweist.

Webseite: www.schossgebete.de

Deutschland 2014
Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Oliver Berben
Darsteller: Lavinia Wilson, Jürgen Vogel, Juliane Köhler, Anna Stieblich, Robert Gwisdek, Pauletta Pollman, Isabelle Redfern
Länge: 93 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: 18. September 2014
 

FILMKRITIK:

Elizabeth würde gern einiges in ihrem Leben vergessen, vor allem, dass sie alle ihre Geschwister bei einem schrecklichen Autounfall verloren hat, der sich auf dem Weg zu ihrer Hochzeit ereignete. Die Hochzeit wurde natürlich abgesagt, stattdessen gab es ein Dreifach-Begräbnis, und die Beziehung zu Stefan, dem Vater ihrer Tochter Liza, ging den Bach runter. Glücklicherweise konnte sie in dem freundlich fürsorglichen Georg einen sowohl verständnisvollen als auch sexuell versierten neuen Partner finden, der nicht nur reich und unabhängig ist, sondern auch ein toller Vater für Liza. So könnte Elizabeth ein sorgloses Leben führen, wenn da nicht die ständigen Schuldgefühle wären, die Panikattacken, Angstzustände, Rachegedanken und Depressionen. Immerhin verfügt Elizabeth über so viel Humor, dass sie es schafft, den Alltag irgendwie zu bewältigen – trotz ihrer Angst vor Fahrstühlen und einstürzenden Häusern. Sie ist eine liebevolle Mutter, eine willige und experimentierfreudige Sexpartnerin für Georg und außerdem wild entschlossen, mit Hilfe ihrer pragmatischen Therapeutin Frau Drescher Ordnung in ihr verkorkstes Seelenleben zu bringen. Aber trotz jahrelanger Therapie wollen sich die Fortschritte nicht so richtig bemerkbar machen. Alle paar Wochen ändert Elizabeth ihr Testament, denn es bereitet ihr großen Kummer, dass im Falle ihres plötzlichen Todes irgendetwas ungeklärt sein könnte. Oder vielleicht möchte Elizabeth gar nicht, dass sich wirklich etwas ändert in ihrem Leben?
 
Es geht um die Seele – nicht um Action. Die eher handlungsarme Geschichte einer Frau zwischen Familie und Therapie bleibt dennoch interessant, denn wie sich Elizabeth als Stehauf-Frauchen im Alltag bewährt, ist durchaus spannend, schon allein durch die zahlreichen originellen und immer wieder neuen Marotten, die ihr Leben bestimmen. Lavinia Wilson spielt Elizabeth als leicht wuschige, manchmal etwas schnippische, aber witzige und sympathische Postfeministin mit viel Temperament und ganz ohne aufgesetzte Tragik, eine Frau, die manchmal vor ihrer eigenen Courage zurückschreckt. Elizabeth gibt sich stets tolerant, sogar wenn es um gemeinsame Bordellbesuche mit ihrem Mann geht. Dahinter steckt die Angst, ihn zu verlieren, aber auch Experimentierfreude und Lust an der Lust. Georg (Jürgen Vogel, bärtig, bebrillt und sehr viril als Fels in der Brandung) weiß über Elizabeth ziemlich gut Bescheid, nur Elizabeth selbst scheint nicht zu bemerken, dass sie sich mitten in einem Heilungsprozess befindet. Die Zeit heilt alle Wunden, so heißt es, und bald wird es so weit sein, dass Elizabeth sich wiederfindet. Immer vorausgesetzt, dass sie selbst es will. Dabei hilft ihr nicht nur ihr Kind, die drollig altkluge Liza (Pauletta Pollman), sondern vor allem die extrem vernünftige Psychologin Frau Drescher, gespielt von Juliane Köhler, die so gar nicht dem üblichen Klischee des Seelenklempners entspricht. Generell wird dankenswerterweise auf Krawallkomik und dumpfe Stereotypen verzichtet, dafür gibt es viel Galgenhumor und schönen Sarkasmus. Oliver Berbens erstes Drehbuch und Sönke Wortmanns Regie wirken beinahe vorsichtig und zurückhaltend. Optisch dominieren sanfte Farben – in bleichen Rückblenden wird immer deutlicher, wo die Wurzeln für Elizabeths Probleme liegen. Die Geschichte des Unfalls und seiner Folgen enthüllt sich Puzzleteil um Puzzleteil, bis sie schließlich in ihrer ganzen Tragik klar wird.
 
Charlotte Roches Bücher polarisieren. Ihnen eilt der Ruf voran, sie wären seicht bis flach, auf pubertäre Weise zotig und eigentlich nichts weiter als eine Modeerscheinung, vergleichbar mit Plateausohlen oder Unterhöschen, auf denen die Wochentage abgedruckt sind. Was zum Schnellvergessen, so wie überhaupt die Literatur in Zeiten sozialer Netzwerke, wenn man den gängigen Vorurteilen glaubt. Dazu scheint auch zu gehören, dass sich hysterische Ablehnung und euphorische Zustimmung in rasender Geschwindigkeit entwickeln, noch bevor ein Buch oder ein Film überhaupt bekannt ist. Doch das muss nicht sein, ein bisschen Gelassenheit kann gelegentlich ganz nützlich sein. Und wenn man hier den Lack der spießigen Sensationsgier ein bisschen abkratzt – es gibt ein paar Sexszenen und es wird gelegentlich über anale Befindlichkeiten gesprochen, dann bleibt ein sehenswerter, zeitgemäßer Film, der nicht nur spannend ist, sondern auch mit einiger Komik von Seelenzuständen und Angstbewältigung erzählt und dabei viel Substanz zeigt.
 
Gaby Sikorski