Schwimmen

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Im Coming-of-Age-Drama „Schwimmen“ üben eine ehemals gemobbte Teenagerin und ihre Freundin durch heimlich gefilmte Smartphone-Videos Rache an ihren Mitschülern. Das Spielfilm-Debüt von Luzie Loose besticht durch erzählerische Ruhe und eine ebenso feinsinnige wie mutige Inszenierung, da „Schwimmen“ weder den Perspektivwechsel noch heikle Themen scheut. Ein kraftvoller, ambitionierter Erstling über die Suche nach Zugehörigkeit, Sicherheit und Orientierung.

Webseite: ucm.one/de/schwimmen

Deutschland 2019
Regie: Luzie Loose
Drehbuch: Luzie Loose
Darsteller: Stephanie Amarell, Lisa Vicari, Alexandra
Finder, Jonathan Berlin, Bjarne Meisel
Länge: 100 Minuten
Kinostart: 12. September 2019
Verleih:  UCM.ONE
 

FILMKRITIK:

Die 15-jährige Elisa (Stephanie Amarell) und die ein Jahr ältere Anthea (Lisa Vicari) sind sehr verschieden, dennoch sind sie beste Freundinnen und helfen sich gerade in schwierigen Situationen und bei Problemen. Sie gehören einer Generation an, die mit Social Media, der digitalen Bilderflut und medialer Selbstdarstellung auf Facebook, Instagram & Co. aufgewachsen ist. Eines Tages beginnen die Beiden ein riskantes Spiel. Sie fangen an alles, was sie tun, mit ihren Smartphone-Kameras aufzunehmen. Auch ihre Mitschüler und jene, die  Elisa früher fertiggemacht haben. Aus der Freundschaft zwischen Elisa und Anthea entsteht zunehmend eine zerstörerische Kraft, die für alle Beteiligten immer gefährlicher wird. Denn die Mädchen wechseln die Seiten – und werden von Opfern zu Täterinnen.

Rund drei Jahre lang arbeitete Luzie Loose an ihrem Film: von ersten Ideenskizzen, gesammelten Artikeln und Drehbuchentwürfen bis hin zu Produktion und Fertigstellung im vergangenen Jahr. „Schwimmen“ entstand in Zusammenarbeit mit dem SWR und der MFG Filmförderung. Bei den Hofer Filmtagen 2018 erhielt Loose den Goldpreis für die beste Regie bei einem Langfilm-Debüt. Als freie Regisseurin und Autorin lebt sie in Berlin, davor war sie an einigen deutschen Kino-Produktionen beteiligt und arbeitete als Regieassistentin am Theater.

Loose legt großen Wert darauf, die Entstehung und Festigung dieser Teenie-Freundschaft für den Zuschauer glaubhaft und auf emotionale Weise darzustellen. Dass ihr beides problemlos gelingt, liegt neben dem ungezwungenen, natürlichen Spiel ihrer Jungdarsteller vor allem an der dichten Inszenierung, bei der sie auf einen visuell außergewöhnlichen „Materialmix“ setzt. Mal nutzt sie eine fest installierte Kamera, mal eine nervöse Handkamera und immer wieder auch die zwischengeschnittenen Handybilder der beiden Hauptfiguren. Hier arbeitet Loose ganz bewusst mit Auslassungen und Lücken, ganze Szenen und Sequenzen scheinen ab und an zu fehlen.

Die fragmentarische Umsetzung und der Stilmix sind aber passend gewählt, gewähren sich doch Raum für Interpretationen. Zudem stehen sie gewissermaßen exemplarisch für eine unserem Medienzeitalter geschuldete, geringe Aufmerksamkeitsspanne. Und: der Reizüberflutung, der wir uns heute durch mediale Dauerbeschallung und die Allgegenwärtigkeit mobiler Endgeräte ausgesetzt sehen.

Durch die Smartphone-Videos betrachtet der Zuschauer das Geschehen subjektiv aus der Sicht von Elisa und Anthea und kommt ihnen auf diese Weise ungemein nah. Diese und die übrigen Bewegtbild-Aufnahmen stehen aber noch für etwas anderes: für das Unstete, das Unruhige und Unausgeglichene im emotionalen Gefüge Heranwachsender. Eine auf den Kopf gestellte Gefühlswelt, die Loose an den unterschiedlichsten Orten und in mannigfaltigen Situationen einfängt. Ob im Klassenzimmer und auf dem Pausenhof, beim Chillen zu Hause oder am See, in der aufregenden Parallelwelt des pulsierenden Nachtlebens.

„Schwimmen“ scheut sich desweiteren nicht, sehr ernste und komplexe Themen anzusprechen, mit denen viele junge Menschen im Verborgenen und Stillen ringen. Es geht um psychische Auffälligkeiten wie Essstörungen, Mobbing, unterdrückte Gefühle, Streit mit den Eltern oder auch die fragilen und gefährlichen Machtstrukturen bzw. -verhältnisse in Cliquen und „Pausenhof-Allianzen“. Beachtlich ist, dass Loose trotz dieser inhaltlichen Vielfalt und herausfordernden Bilderflut auf ein sanftes, ruhiges Erzähltempo baut und sich Zeit für ihre Geschichte nimmt. Das funktioniert als stimmiges Gegengewicht zur Getrieben- und Unsicherheit der Jugendlichen, die stets auf der Suche nach Halt sind, ganz wunderbar.

Björn Schneider