Sehnsucht nach Paris

Zum Vergrößern klicken

Sie ist das weibliche Gesicht des französischen Kinos der vergangenen Jahrzehnte: Die Filmdiva Isabelle Huppert. In der einfühlsamen romantischen Komödie „La Ritournelle“ bricht die einstige Chabrol-Muse als Frau eines Rinderzüchters aus ihrer Eheroutine in der Provinz aus. Doch Regisseur Marc Fitoussie lässt sie dabei nicht als tragische Heldin a la Madame Bovary enden, sondern gönnt ihr neben einem charmanten Liebhaber auch einen Neuanfang mit ihrem genialen Filmpartner, dem exzellenten Jean-Pierre Darroussin. Eine hinreißende französische Version der „comedy of remarriage” mit Tiefgang und Esprit.

Webseite: www.sehnsuchtnachparis.de

OT: La Ritournelle
Frankreich 2014
Regie: Marc Fitoussi
Buch: Sylvie Dauvillier, Marc Fitoussi
Darsteller: Isabelle Huppert, Jean-Pierre Darrossin, Jean-Charles Clichet, Michael Nyqvist, Pio Marmai, Marina Fois, Audrey Dana
Länge: 96 Minuten
Verleih: Wild Bunch
Kinostart: 12. Februar 2015
 

FILMKRITIK:

„Der Schauspielerberuf ist für eine Frau die schönste Möglichkeit, sich auszudrücken“, sagt Isabelle Huppert über ihre Arbeit. Seit über vier Jahrzehnten beweist die zierliche französische Filmdiva, die mit ihren Sommersprossen immer noch sehr jugendlich wirkt, das eindrucksvoll auf der Kinoleinwand. Heute zählt die gebürtige Pariserin neben Catherine Deneuve zu den Größen des französischen Kinos. Dem Madonnen-Klischee entzieht sie sich mit einer bisweilen trotzigen Haltung in provozierenden Parts. Immer öfter ist die Ausnahmeschauspielerin jetzt auch in Komödien zu sehen.
 
Mit Regisseur Mark Fitoussi ließ sich die Muse des zeitgenössischen Autorenfilms erneut auf dieses Genre ein: In der charmanten romantischen Komödie spielt die dreifache Mutter die Frau eines Rinderzüchters, die nach dem Auszug der Kinder den Ausbruch aus der Ehe wagt. Eine Paraderolle wie geschaffen für die faszinierende Darstellerin vielschichtiger Frauengestalten. Schließlich vermag die 61jährige wie keine zweite komplexe Innenwelten in physische Präsenz zu verwandeln. Erneut beweist sie damit auch ihr komödiantisches Potential. Immer noch ist sie zwar nach außen die Beherrschte, aber gleichzeitig ahnt man ihre innere Glut. Leidenschaftlich und unterkühlt zugleich, zwischen Anmut und Power, zeigte sie sich bereits in „Eine Frauensache“ als Engelmacherin und für die Regielegende Claude Chabrol in „Geheime Staatsaffären“, als Staatsanwältin.
 
Der bodenständige Xavier (Jean-Pierre Darroussin) züchtet erfolgreich Rinder in der Normandie. Seine Frau Brigitte (Isabelle Huppert) unterstützt ihn tatkräftig dabei. Doch nachdem ihre Kinder das Haus verlassen haben, belastet Brigitte die eingefahrene Alltagsroutine. Da hilft auch das scheinbar so idyllische Landleben nicht. Sie regiert mehr und mehr allergisch darauf. Körperliches Signal: Ein Ausschlag am Hals, der sich zunehmend ausbreitet. Xavier bedrängt sie umsonst einen Arzt aufzusuchen. Als ihr der junge Stan (Pio Marmaï) aus Paris über den Weg läuft, der zufällig auf einer Party im Nachbarhaus ist, funkt es plötzlich.
 
Die Aussicht auf ein amouröses Abenteuer macht ihr freilich zunächst Angst. Aber der sehnsüchtige Wunsch auszubrechen siegt. Mit der Ausrede endlich einen der empfohlenen Dermatologen in Paris aufzusuchen, lässt sie ihren Ehealltag hinter sich. In der Seine-Metropole erwartet sie dann nicht nur ein harmloser Flirt sondern nach einigen Turbulenzen mit dem Dänen Jesper (Michael Nyqvist) ein durchaus versierter charmanter Liebhaber. Erst da begreift Xavier, dass er seine Frau tatsächlich verlieren könnte. Wie können sich die beiden wiederfinden und vor allem sich als Paar nach all den Jahren neu erfinden?
 
Perfekt inszeniert Regisseur Marc Fitoussi die Chabrol-Muse in diesem prickelnden Abenteuer auf Zeit mit berührenden Zwischentönen. Humorvoll spielt seine Komödie mit der komödiantische, emanzipatorischen US-Version der französischen amour fou, der vielzitierten „comedy of remarriage“. Freilich verfügt in der Filmgeschichte wohl kaum mehr ein Film-Ehepaar je über eine so hoch entwickelte Streitkultur wie das Duo Spencer Tracy und Katherine Hepburn. Auch wenn das Zusammenspiel zwischen Huppert und dem exzellenten Jean-Pierre Darroussin nahezu genial funktioniert. Auffällig oft gönnt das französische Kino inzwischen seinen charismatischen Diven eine amouröse Auszeit. Frei nach dem Motto: „Starke Frauen altern nicht, sie genießen“ sind Catherine Deneuve oder die große Truffaut-Aktrice Fanny Ardant auch im Alter unwiderstehlich.
 
Luitgard Koch

Paris, die immer wieder beschworene Stadt der Liebe, verkörpert auch in Marc Fitoussis „Sehnsucht nach Paris“ den Traum von einem anderen, aufregenderen Leben. In diese Illusion verliert sich für einige Tage die von Isabelle Huppert gespielte Hauptfigur, die mit ihrem Mann auf dem Land lebt und an ihrer Ehe zweifelt. Eine leichte Tragikomödie mit subtilen Untertönen.

Seit ewigen Zeiten sind Brigitte (Isabelle Huppert) und Xavier (Jean-Pierre Darrossin) nun schon verheiratet und betreiben in der Normandie einen gut gehenden Bauernhof. Zu den Höhepunkten des Jahres zählt – zumindest für Xavier – die Rinder-Leistungsschau, bei der er regelmäßig Preise gewinnt, die eine ganze Wand im Haus einnehmen. Der gemeinsame Sohn Régis (Jean-Charles Clichet) ist nur noch selten zu Besuch bei den Eltern und macht in der Nähe von Paris eine Ausbildung zum Artisten – nicht gerade der Beruf, den sich Xavier für seinen Sohn vorgestellt hat.

Als in einem benachbarten Haus eine Party stattfindet, lernt Brigitte den jungen Pariser Stan (Pio Marmai) kennen, der ihr unverhohlen den Hof macht. Gleichermaßen verwirrt und geschmeichelt fährt Brigitte unter einem Vorwand bald nach Paris, um Stan zu überraschen. Doch der anfangs so charmante junge Mann erweist sich schnell als Hallodri, ganz im Gegensatz zum dänischen Geschäftsmann Jesper (Michael Nyqvist), den Brigitte in ihrem Hotel kennen lernt. Doch während Brigitte mit sich ringt, ob sie sich auf ein Abenteuer mit dem Fremden einlassen soll, ist auch Xavier in Paris und erkennt, dass seine Frau mit ihrem Leben offensichtlich nicht wirklich zufrieden ist.

Marc Fitoussis „Sehnsucht nach Paris“ beginnt höchst beschaulich, als leichte Komödie auf dem Land, weder besonders komisch, noch irgendwie dramatisch, unauffällig gefilmt, lange Zeit ohne besondere Eigenschaften. Doch gerade als man sich langsam zu fragen beginnt, ob man es hier mit einem doch eher seichten Film zu tun hat, beginnen sich ganz langsam Subtexte zu öffnen. Erst als sich der Schauplatz von der Normandie nach Paris verlagert, sich damit auch das Leben von Brigitte öffnet, beginnen sich die anfangs nur unterschwellig eingestreuten Themen zu entwickeln. Gerade durch den Kontrast des behäbig anmutenden Landleben und der flirrenden Hektik der Metropole wird auch Brigittes Sehnsucht nachvollziehbar, ihr Wunsch nach etwas Aufregung, nach etwas Abenteuer. Das dieser Gegensatz jedoch nicht so plakativ gezeigt wird, wie er sich anhört, ist die große Qualität des Films und seiner Hauptdarstellerin Isabelle Huppert.

Es wäre ein leichtes Gewesen, die Unzufriedenheit Brigittes, ihren Ausbruch aus dem Alltag in groben Zügen zu spielen. Was Huppert dagegen aus ihrer Figur macht ist weit mehr, weit subtiler. Ohne auch nur ansatzweise moralisch zu werden, zeigt sie Brigitte als Frau, die hin- und hergerissen ist, die den momentanen Genuss eines Abenteuers zu schätzen weiß, aber auch sieht, was sie an ihrer seit langem funktionierenden Ehe hat. Und auf der anderen Seite ist es Xavier, der den Seitensprung seiner Frau zwar nicht auf die leichte Schulter nimmt, aber vor allem erkennt, dass er nicht in erster Linie gegen ihn gerichtet ist, sondern gegen eine gewisse Trägheit in der Beziehung. Wie subtil Marc Fitoussi dies zusammen mit seinen Darstellern einfängt, macht „Sehnsucht in Paris“ zu einem bemerkenswert erwachsenen Film, der seine Figuren, ihre Sehnsüchte, vor allem aber auch die Substanz ihrer Beziehung ernst nimmt.
 
Michael Meyns