Selbst geheilt

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Nachdem er bereits in „Wunder der Lebenskraft“ für alternative Heilmethoden eintrat, legt Stephan Petrowitsch nun eine Doku zum Thema Selbstheilung nach. Zwischen Birchler-Müsli, Tumoren durch WiFi-Strahlung und dem Einfluss der Gedanken auf die Heilung von Zivilisationskrankheiten offenbart sich „Selbst geheilt“ rasch als werbende Betrachtung, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch inszenatorisch tumb pro Alternativmedizin positioniert.

Webseite: selbstgeheilt.com

Deutschland 2019
Regie: Stephan Petrowitsch
Mitwirkende: Ruediger Dahlke, Urs Hochstrasser, Eduard Überbacher, Vladimir Chubinsky, Hongchi Xiao, Hartmut Fraas, Sandy Edwards
Laufzeit: 99 Min.
Verleih: InTouch Filmproduktion
Kinostart: 20.08.2020

FILMKRITIK:

Am Anfang steht ein Disclaimer: Der Inhalt des Films sei zwar „mit größter Sorgfalt und nach bestem Wissen“ zusammengestellt, trotzdem könne die Produktion „keine Haftung für die Aktualität, Vollständigkeit oder Richtigkeit“ übernehmen. Und weiter: „Zur Vorbeugung von etwaigen Rechtsansprüchen distanziert sich die Produktion von den Aussagen Dritter, insbesondere den Protagonisten des Films.“

Dass die eröffnende Einschränkung nötig ist, zeigt bereits die kurz später aus dem Off getätigte Aussage, Infektionskrankheiten würden in unserer Zeit keine große Rolle mehr spielen. „Selbst geheilt“ wurde offensichtlich vor Corona produziert, doch auch ohne das Wissen um die Pandemie erscheint das laxe Beiseitewischen von Infektionskrankheiten ziemlich weltabgewandt. Das passt zur esoterischen Ausrichtung der Doku, die sich auch im Folgenden nur scheinbar um eine ausgewogene Sicht bemüht.

Stattdessen bricht Stephan Petrowitsch eine Lanze für alternative Medizinformen und die Kraft der Selbstheilung, wobei die Perspektive unverhohlen esoterisch ist. Wir sehen Naturbilder, das Universum, immer wieder das Meer: „Unsere Erde, ein wunderschöner Planet,“ kommentiert der Sprecher. Es fallen Schlagworte wie „Traum“, „Vision“, „Glaube“, es geht um „Kreisläufe“ und „tiefergehende Erkenntnisse“ durch Meditation, die Gesundheit solle mit der „Harmonie und Schönheit in und um sich selbst“ verbunden, „Turbulenzen im Energiefeld“ indes verhindert werden. „An die Selbstheilung glauben ist positiv,“ beschwört der Off-Kommentar. Von der Tonalität her ist der Sprecher weihevoll, außer es geht um negative Einflüsse. Wenn der „Störfaktor“ Mensch, dessen Gier, Giftstoffe oder ungesunde Strahlungen thematisiert werden, verfinstert sich die Stimme.

Zu den Ausführungen läuft von der ersten bis zur letzten Sekunde ununterbrochen Musik, die ebenfalls auf platte Weise manipulativ eingesetzt wird. So entsteht der Eindruck eines Werbefilms, was sich auch darin zeigt, dass die aktuellen Veröffentlichungen der befragten Experten und der beiden Expertinnen erwähnt werden. Bisweilen kippt die werbende Art ins unfreiwillig Komische: Beim Thema Ernährung und der Mahnung, dass viele Menschen zu viel Nahrung zu sich nehmen, sehen wir einen Jugendlichen im Kino, der einen großen Eimer Popcorn in sich hineinschüttet, während seine Begleiterin vom Nebensessel aus abgetörnt rüberschaut. Geht es aber um Themen wie die Reinigung des Körpers durch Fasten, illustriert das Bild einer unter einem Wasserfall duschenden Frau das Heilsversprechen. All das grenzt beim Betrachten an eine Zumutung.

Es sind gewiss ein paar diskussionswürdige Fragen, die der Film aufwirft. Fragen zum Zustand der Schulmedizin, zum Intervallfasten, zu Lebensmittelverschwendung oder den Auswirkungen des modernen Lifestyles auf die Gesundheit. Und Petrowitsch weiß, dass alternative Heilmethoden und das Credo, die Natur sei die beste Apotheke, auch an Grenzen stoßen. Daher zeigt er nebenbei auch Fälle, in denen Erkrankte starben, weil Quacksalber ihnen zur Absetzung von Insulin rieten. Die Einwände wirken aber vorgeschoben und werden jeweils in der Anschlussszene relativiert. Viel wichtiger sind Petrowitsch die Bilder vermeintlicher Wunderheilungen.

Auch wenn manche Ansätze sinnvoll erscheinen, wirkt die Doku zu werbend und einseitig, ja, sie erinnert mit ihrer unbeholfenen Machart an läppische YouTube-Videos. Und je nach den eigenen Lebenserfahrungen wirkt die Grundaussage regelrecht dreist. Kranke sollen sich fragen, warum sie krank sind, und wenn sie die Heilung mit Leib und Seele wollen, dann wird das schon. Eine bittere Pille für alle, die schwer erkrankt sind und deren Angehörige.

Christian Horn