Sentimental Value

Weder Bergman noch Ibsen sind weit, wenn man als Regisseur aus dem europäischen Norden ein Film über schwierige Familienverhältnisse dreht. So überrascht es nicht, dass der norwegische Regisseur Joachim Trier in seinem neuen Film „Sentimental Value“ auf beide bezieht, am deutlichsten im Namen der Hauptfigur Nora, einer Frau, die im Laufe des lose strukturierten Dramas ihr Verhältnis zum lange abwesenden Vater auf den Prüfstand stellt.

 

Über den Film

Originaltitel

Sentimental Value

Deutscher Titel

Sentimental Value

Produktionsland

NOR, FRA, DEU

Filmdauer

110 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Trier, Joachim

Verleih

PLAION PICTURES GmbH

Starttermin

31.12.2025

 

Schauspieler gelten als neurotisch, als expressiv, aber auch nicht immer ganz einfach. Insofern wirkt die gut 30jährige Schauspielerin Nora wie der Inbegriff ihrer Zunft, als sie am Abend einer Theaterpremiere einen Nervenzusammenbruch erleidet und es nur gerade so auf die Bühne schafft. Auch im Privaten läuft es für Nora eher durchwachsen, eine Familie hat sie nicht, nur eine Affäre mit einem verheirateten Bühnenarbeiter. Vor allem ihre etwas jüngere Schwester Agnes ist ihr Halt, so wie sie selbst einst Agnes unterstütze, als der Vater Georg (Stellan Skarsgård) die Familie verließ. Das ist Jahre her, viel Kontakt haben die Schwestern mit ihrem Vater nicht gehabt, der einst ein erfolgreicher Regisseur war, nun aber von den Erinnerungen an den Ruhm lebt.

Zur Trauerfeier von Nora und Agnes Mutter taucht Georg überraschend auf, nicht ganz uneigennützig: Er hat ein Drehbuch geschrieben, in dem er auch den überraschenden Selbstmord seiner eigenen Mutter thematisiert. Ausgerechnet Nora hat er nun für diese Rolle vorgesehen, doch die lehnt empört ab.

Stattdessen engagiert Georg den Hollywood-Star Rachel (Elle Fanning) für die Hauptrolle seines Films, den er im Stammsitz der Familie drehen will, einem alten Holzhaus am Rande von Oslo. Generationen der Familie haben hier gelebt, hier hat sich Georgs Mutter erhängt, hier sind Nora und Agnes aufgewachsen, hier will Georg das angespannte Verhältnis zu seiner Tochter wieder geradebiegen.

Mit seiner losen Oslo-Trilogie, bestehend aus „Reprise“, „Oslo, 31. August“ und „Der schlimmste Mensch der Welt“ hat sich Joachim Trier zum Dauergast auf dem Festivalzirkus entwickelt, nun erweitert er die Trilogie mit einer Variation der Themen, die sich durch sein bisheriges Œuvre ziehen.

Gleich in der ersten Sequenz etabliert er einen weiteren Hauptdarsteller, das Haus der Familie. In einer rasanten Montagesequenz wird die Geschichte des Hauses erzählt, von Freud und Leid berichtet, das die Wände gehört haben, davon was sich bei Parties auf den Dielen abgespielt hat. In Anlehnung an Ibsens Nora mag man hier an ein Puppenhaus denken, doch so dramatisch wie beim berühmten norwegischen Dramatiker geht es in „Sentimental Value“ dann doch nicht zu.

In losen Szenen, die gerade in der ersten Stunde erheblich ausfransen, umkreist Trier seine beiden Hauptfiguren, deutet die Ursachen für die Antipathie an, die seit langem zwischen Nora und Georg besteht. Im Gegensatz dazu steht Agnes, die vor vielen Jahren einmal in einem Film des Vaters eine Rolle spielte, so wie es nun Nora tun soll. Eine Szene aus diesem alten Film Georgs deutet an, dass es sich auch damals um eine Variation von Georgs Mutter handelte, die im Krieg gegen die deutsche Besatzung kämpfte. Ob sie an den Erinnerungen an diese Vergangenheit verzweifelte bleibt wie vieles offen, im Gegensatz etwa zu den Filmen von Ingmar Bergman, verzichtet Trier auf kathartische Szenen oder dramatische Konfrontationen.

Es sind vor allem die beiden Hauptdarsteller Renate Reinsve und besonders Stellan Skarsgård die überzeugen und aus einem im Ansatz konventionellen Familiendrama einen gelungenen Film über ein schwieriges Tochter-Vater-Verhältnis werden lässt.

 

Michael Meyns

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