Dies ist der erste deutsche Film, der sich des olympischen Terrors von 1972 annimmt. Es gab internationale Produktionen, die das taten. Ungewöhnlich ist „September 5“ aus zweierlei Grund. Weil er mit dem Fokus auf die Arbeit amerikanischer Journalisten eine nicht-deutsche Perspektive einnimmt, aber auch, weil er ein deutscher Film von einem Schweizer Regisseur ist. Weil die Geschichte größer ist, als sie anmutet. Dies war der erste Terrorakt, der live im Fernsehen übertragen und von weltweit mehr als 900 Millionen Menschen gesehen wurde.
Webseite: https://constantin.film/kino/september-5/
Deutschland 2024
Regie: Tim Fehlbaum
Buch: Moritz Binder, Tim Fehlbaum
Darsteller: John Magaro, Ben Chaplin, Peter Sarsgard, Leonie Benesch
Länge: 95 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: 09. Januar 2025
5. September 1972: Das Sports-Team des US-Senders ABC bei den Olympischen Spielen 1972 in München hört um 4:40 Uhr morgens Schüsse im Quartier der Israeli. Eine Gruppe von palästinensischen Terroristen hat elf israelische Sportler als Geiseln in ihre Gewalt gebracht. Das ABC-Sports-Team übernimmt gegen die Widerstände der eigenen News-Abteilung über Satelliten die Live-Reportage der 21 Stunden währenden Geiselnahme, die Polizei und Politik überfordert.
Tim Fehlbaums Ansatz - das Skript hat er zusammen mit Moritz Binder entwickelt - ist ein sehr ungewöhnlicher. Er konzentriert sich samt und sonders auf die Berichterstattung durch ABC und ist darum ein sehr fokussierter, fast ausschließlich in der Übertragungszentrale spielender Film - und dabei mordsspannend.
Dass ein Film wie dieser spannend wird, ist eine Kunst. Denn jeder weiß, wie der Terror von München im Jahr 1972 endete. Man bangt nicht um die Geiseln, weil man um ihr Schicksal weiß. Aber man kennt nicht die Geschichte, wie die Bilder, die Fernsehgeschichte schrieben, überhaupt auf die Mattscheibe kamen.
Es ist dabei auch faszinierend, wie Journalisten, die eigentlich über Sport berichten, von jetzt auf gleich umschwenken müssen. Das ist vergleichbar mit dem Aufstieg von der Kreis- in die Bundesliga. Sie sind alle Profis in ihrem Geschäft, aber eben erfahren darin, von den schönen Dingen zu berichten. Der Moderator sagt einmal, als die Kamera zwei Scharfschützen der Polizei auf einem Hausdach aufnimmt, dass die Unwirklichkeit der Berichterstattung über die Olympischen Spiele nun der harten Realität weicht. Die wiederum irreal anmutet. Weil man derartiges zuvor niemals im Fernsehen gesehen hat.
Es geht auch um ein moralisches Dilemma. Sollte man auch noch mit der Kamera draufhalten, wenn eine Geisel erschossen wird? Darf man das? Oder sollte man abblenden?
Die Spannung ist zum Schneiden dick, alle Beteiligten sind höchst konzentriert. Sie machen ihre Arbeit, auch wenn die sich gänzlich geändert hat. Am Ende kommt ein Wechselbad der Gefühle, weil die Berichte erst so widersprüchlich sind, bevor sie sich verdichten und aufzeigen, dass es kein Happyend gab. Ein Downer-Moment für alle Beteiligten, und irgendwie für den Zuschauer, auch wenn er es besser weiß.
Fehlbaum, der die Sci-Fi-Filme „Hell“ und „Tides“ inszeniert hat, hat einen unglaublich dichten Film abgeliefert, der von großartigen Schauspielern getragen wird, aber auch neben dem Offensichtlichen der Geschichte das Übergeordnete nicht übersieht. Denn Deutschland wollte sich als geläutertes Land präsentieren, das die Schrecken des Zweiten Weltkriegs hinter sich gelassen hat - nur um der eigenen Inkompetenz wegen miterleben zu müssen, wie wieder Juden ermordet wurden. Das verlangt auch der von Leonie Benesch gespielten Marianne alles ab. Das Ensemble ist brillant. John Magaro als Aufnahmeleiter, Ben Chaplin als Mann, der nach Informationen sucht und Peter Sarsgard als derjenige, der dafür sorgt, dass dies ausgestrahlt wird, sind allesamt groß. Sie haben nur wenig Persönliches, mit dem sie arbeiten können, machen diese Menschen aber spürbar - und mit ihnen den Schrecken des 5. September.
Peter Osteried