September & July

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Geschwisterliche Bindungen haben im Kino eine lange Tradition, werden immer wieder unter die Lupe genommen. Und nicht selten kommen dabei neben echter Zuneigung gefährliche Abhängigkeiten in den Blick. Genau so verhält es sich auch in „September & July“, dem Spielfilmdebüt der als Schauspielerin bekannt gewordenen Ariane Labed. Die unter deutscher Beteiligung entstandene Adaption von Daisy Johnsons Roman „Die Schwestern“ erweist sich als eigenwilliger Genre-Mix, der ständig zwischen Familiendrama, schwarzer Komödie und Schauerstück hin- und herpendelt. Trotz kleiner Schwächen eine vielversprechende erste Regiearbeit!

Webseite: https://mubi.com/de/de/films/september-says

September Says
Irland/Großbritannien/Deutschland/Frankreich/USA 2024
Regie: Ariane Labed
Drehbuch: Ariane Labed nach dem Roman „Die Schwestern“ von Daisy Johnson
Cast: Pascale Kann, Mia Tharia, Rakhee Thakrar, Niamh Moriarty, Levi O’Sullivan, Charlie Reid, Barry John Kinsella, Shane Connellan, Amelia Valentina Pankhania, Sienna Rose Velikova u. a.

Länge: 100 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: MUBI
Kinostart: 6. März 2025

FILMKRITIK:

Ein Statement setzt Labed schon in den Anfangsmomenten bei der Einführung der Hauptfiguren, die als Kinder von ihrer künstlerisch tätigen Mutter Sheela (Rakhee Thakrar) für ein Fotoshooting wie die gruseligen Zwillinge aus Stanley Kubricks Horrorklassiker „Shining“ (1980) inszeniert werden. Einen Schnitt später sind September (für eine Newcomerin unglaublich stark: Pascale Kann) und July (Mia Tharia) Jugendliche, die es in der Schule offenkundig schwer haben. Die anderen Teenager halten die beiden für Freaks und lassen sie das bei jeder Gelegenheit spüren.

Ganz unterschiedlich gehen die Schwestern jedoch mit den fortlaufenden Mobbingattacken um. Während die zurückhaltende, etwas blauäugige July keine Anstalten macht, sich zu wehren, wählt die unerschrockene September den Konfrontationskurs. Jeden dummen Spruch kommentiert sie. Und Übergriffigkeiten beantwortet sie kurzerhand auf physische Weise.

Die beiden Heranwachsenden sind ein enges Gespann, machen, wie es aussieht, alles zusammen und unterstreichen ihre unauflösliche Beziehung durch eigentümliche Rituale und Codes. Immer wieder imitieren sie zum Beispiel Tierlaute, was ihre Umwelt erst recht belustigt. Bei aller Verbundenheit zeigt sich in ihrem Umgang miteinander aber schon früh eine gefährliche Dynamik. In einem Moment schwingt sich September zur unerbittlichen Beschützerin ihrer Schwester auf, im nächsten lässt sie July ihre Unterlegenheit, ihre Machtlosigkeit deutlich spüren. Mehr noch: Permanent testet September mit manipulativen Fragen Julys Hörigkeit, will etwa wissen, ob diese an ihrer Stelle sterben würde. Wer hier den Ton angibt, ist nicht zu übersehen. Schon der Originaltitel „September Says“ spiegelt diese Dominanz wider.

Liebevolles und Destruktives liegen in Labeds Literaturverfilmung nah beieinander. Dadurch entsteht eine emotionale Komplexität, die in positivem Sinne irritiert. Als Kontrastmittel setzt die auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseurin zudem absurde Komik ein, die allerdings schnell in Unbehagen umschlagen kann. Ein bisschen scheint in dieser Melange der Einfluss ihres inzwischen in Hollywood Erfolge feiernden Ehemannes Yorgos Lanthimos durch, der mit schaurig-schrägen Arbeiten wie „Dogtooth“ (2009) oder „The Lobster“ (2015)  Bekanntheit erlangte.

Dass man sich in „September & July“ nicht einfach fallen lassen kann, hängt ferner mit einer fragmentarischen Erzählweise und einer abrupten Montage (verantwortet von der deutschen Filmeditorin Bettina Böhler) zusammen. Besonders augenfällig ist der Bruch nach einer halben Stunde, der uns unvermittelt aus dem bisherigen Oxford-Setting in ein raues, irisches Küstenszenario katapultiert. Eine unbedachte Handlung Julys wird brutal ausgenutzt und zieht ein einschneidendes Ereignis in der Schule nach sich, das lange unklar bleibt, allenfalls schemenhaft in kurzen Flashbacks hervorbricht. Was genau passiert, verraten wir an dieser Stelle nicht. Wer in der zweiten Hälfte genauer hinsieht, könnte jedoch die richtigen Schlüsse ziehen. Einerseits kommt die schüchtern-naive July in dem Haus am Meer, das ihrer Großmutter gehört, langsam aus sich heraus. Andererseits wirkt die Atmosphäre mitunter ungemein bedrückend. Nicht zuletzt, weil Septembers Machtspiele zunehmend grausamer werden und die körnigen Bilder von Kameramann Balthazar Lab etwas Unheimliches verströmen. Eine aufgeregte Tonspur tut gegen Ende ihr Übriges, um die wachsende Konfusion zu betonen.

Die Geschwisterbeziehung steht in „September & July“ klar im Fokus. Parallel versucht Ariane Labed aber auch, hinter die Fassade der alleinerziehenden Künstlerin Sheela zu blicken, die indische Wurzeln hat. Dabei werden verschiedene Probleme angerissen, unter anderem die Erfahrungen der Mutter mit Rassismus und familiäre Konflikte. Ihre Ängste und Sorgen zeichnen sich durchaus ab. Und doch wirkt Sheelas Charakterporträt unter dem Strich etwas fahrig. Am positiven Gesamteindruck ändert das freilich wenig.

 

Christopher Diekhaus