Shahada

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Das Besondere an „Shahada“ ist seine Perspektive. Er ist kein fundamentaler Religionsfilm, kein Kopftuchfilm, sondern eine Innenansicht junger Moslems in Deutschland. Sie alle sind hier aufgewachsen, haben die gleichen Schulen besucht, tragen die gleichen Klamotten und haben ähnliche Vorlieben wie deutschstämmige Jugendliche. Was man in dieser Gesellschaft immer noch nicht wahrhaben will, es sind Deutsche, sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft und werden nicht irgendwann wieder verschwinden, wohin auch!

Ausgezeichnet mit dem Gildepreis Berlinale 2010 der deutschen Filmkunst- und Programmkinos

Webseite: www.3rosen.com

Deutschland 2010
Regie: Burhan Qurbani
Darsteller: Carlo Ljubek, Maryam Zaree, Jeremias Acheampong, Marija Škaricic, Vedat Erincin, Sergej Moya, Anne Ratte-Polle u.a.
Länge: 95 Min.
Verleih: 3 Rosen (Vertrieb: 24 Bilder)
Kinostart 30. September 2010

PRESSESTIMMEN:

Glauben und leben lassen: In Burhan Qurbanis packendem Debütspielfilm "Shahada" versuchen drei junge Berliner Muslime ihren Glauben mit einem modernen Leben in Deutschland in Einklang zu bringen. (...) der Regisseur hat so viel Zuneigung für seine Helden übrig, dass er sie alle als echte, warmherzige Menschen zeichnet, die man sofort und gern in sein Leben lässt. Qurbani erzählt schnell und voller Druck, vermeidet Moralkeulen und hat einen feinen Sinn für den richtigen Soundtrack an der richtigen Stelle.
Spiegel online (Die ganze Kritik hier...)

FILMKRITIK:

Der einzige Unterschied ist ihre Religion und auch ihre Religiosität, die für uns oft nur schwer nachvollziebar ist: Burhan Qurbani folgt in seinem Film drei jungen Muslimen quer durch Berlin. Ihre Wege kreuzen sich in der Moschee von Vedat, einem aufgeklärten Geistlichen. Er macht sich Sorgen um seine Tochter Maryam, zu Recht, denn das früher so aufgeschlossene Mädchen ist schwanger und sucht Hilfe in der Religion. Samit ist Nigerianer und besucht mit seinem deutschen Freund Daniel den Koranunterricht, die beiden Freunde sind sich näher gekommen, was Samit in Konflikt mit seiner Religion bringt. Ismail ist ein türkischer Polizist, der in der deutschen Gesellschaft angekommen zu sein scheint. Er hat Frau und Kind zu Hause, doch dann trifft er die Bosnierin Leyla wieder, und die Vergangenheit scheint ihn einzuholen.

‚Shahada‘, das ist das islamische Glaubensbekenntnis und die erste der fünf Säulen des Islam. Es handelt sich um ein kurzes Gebet, in dem man bekennt, dass es keinen Gott gibt außer Allah. Laut vor Zeugen gesprochen reicht das bereits aus, um Muslim zu werden. Die restlichen vier Säulen kommen auch noch vor, als Kapitelüberschriften. So orientiert sich Burhan Qurbani auch in der Struktur seines Films an der Religion, von der er erzählen will, und er nimmt dabei alles andere als eine neutrale Perspektive ein. Der Film selbst ist ein Bekenntnis und auch ein Plädoyer. Jedenfalls will Qurbani das so verstanden wissen, als „Aufruf zum Dialog der Religionen“, wie er in der Berlinale-Pressekonferenz erklärte.

Dabei geht „Shahada“ deutlich weiter als Fatih Akins „Gegen die Wand“. Er ist kein Plädoyer mehr dafür, dass die Türken der 2. und 3. Generation längst Deutsche sind, sondern er zeigt ein Stück Deutschland, dass wir nicht kennen und vor dem wir die Augen verschließen. So ist „Shahada“ eine Art Innenansicht des Islams in Deutschland, er zeigt eine Parallelgesellschaft, wie sie existiert, auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen. Dabei ist diese Gesellschaft keine revolutionäre Zelle, im Gegenteil, sie ist auch offen für Deutsche. Wenn aus dem Koran zitiert wird, kommt uns das meist ziemlich bekannt vor, denn in der Bibel stehen kaum andere Worte. So ist „Shahada“ wirklich ein Beitrag zum Dialog, er ist nicht aggressiv, nicht fundamental und das Erfrischende an diesem Film ist, dass er ganz ohne Verteufelungen und fundamentalistische Verirrungen, wie beispielsweise in „Die Fremde“ auskommt. Im Gegenteil, er bleibt stets erschreckend normal und belegt so die Notwendigkeit, sich mit einem Problem zu beschäftigen, das wir immer noch meinen, nach Hause schicken zu können.

Kalle Somnitz

läubige Muslime, die in unserem Land leben, geraten nicht selten in eine Auseinandersetzung zwischen ihrer Religion und unserer angeblich modernen Welt. Von solchen Schicksalen erzählt dieser Film.

Maryam ist in Berlin eine durchaus heutige junge Frau, aber auch die Tochter des konsequenten wenn auch ziemlich liberalen Imam Vedat. Sie wird von ihrem Freund Sinan schwanger, treibt das Kind jedoch ab. Diese „Sünde“ löst bei Maryam nicht nur einen Gewissenskonflikt aus, sondern eine vollständig veränderte Lebenseinstellung. Sie wird radikal gläubig, fanatisch-extremistisch. Dadurch gerät beinahe die Gemeinde ihres Vaters aus den Fugen.

Ismail ist ebenfalls in Berlin türkischstämmiger Polizist, verheiratet, ein Kind. Vor drei Jahren hat er, der sich von der Religion ziemlich losgesagt hatte, im Dienst die junge Leyla angeschossen, die daraufhin ihr Kind verlor. Noch immer ist Ismail von Gewissensbissen geplagt. Er folgt Leyla, bringt fast seine Ehe aus dem Gleichgewicht, lässt es sogar zu einer zarten Liebesbeziehung mit Leyla kommen. Eine Erlösung aus seinen Nöten ist indes für Ismail daraus nicht zu erwarten.

Der Berliner Nigerianer Samir arbeitet wie Sinan in der Markthalle. Auch Daniel ist dort beschäftigt. Der ist Samirs Freund – aber homoerotisch. Es kommt zur sexuellen Annäherung zwischen den Freunden. Doch Samir weiß, dass dies für ihn als Muslim undenkbar ist. Oft wird Daniel von Sinan wegen seiner Veranlagung angegriffen. Samir aber muss endgültig wählen, sein Gewissen erforschen, den Glauben zu Hilfe nehmen, sich entscheiden.

Dass gespannte Verhältnis der „sündigen“ Tochter zu ihrem Vater; die schwierige Vereinbarkeit zwischen Glauben und Alltag; der äußere Einfluss, etwa durch Freunde, Partner oder Fremde, auf die Religiosität; die hingebungsvolle aber ungewisse Beziehung zu Gott, zu Allah; das Abgleiten ins Extreme und die dadurch gegebene Gefährdung der Allgemeinheit; der unauslöschliche Schuldgedanke und seine Verbindung zur Religion; der Kampf mit einer natürlichen Veranlagung und ihre Auswirkung auf das Glaubensverhalten – das alles wird in Burhan Qurbanis „Shahada“ angesprochen und teilweise vertieft.

Es ist ein bedenkens- und sehenswerter Film geworden, in dem die einzelnen Geschichten gut aufeinander abgestimmt und miteinander verknüpft sind, in dem individuelle Nöte und die Probleme Fremdstämmiger in unserem Land nahbar und verständlich werden.

So gut wie Drehbuch und Regie sind auch die Hauptdarsteller Maryam Zaree (Maryam), Matija Skaricic (Leyla), Carlo Ljubek (Ismail) und Jeremias Acheampong (Samir).

Nicht umsonst erhielt der Film den diesjährigen Preis der AG Kino-Gilde-Berlinale-Jury.

Thomas Engel