Shalom Italia

Zum Vergrößern klicken

Schon in ihrem letzten Film „Life in Stills“ beschäftigte sich die israelische Dokumentarfilmerin Tamar Tal mit den Spuren der Vergangenheit, die oft das Leben in der Gegenwart beeinflussen. Damals wiesen Fotos den Weg in die jüdische Geschichte, in „Shalom Italia“ sind es die Erinnerungen dreier Brüder, die sich im hohen Alter auf eine Reise in ihre ehemalige Heimat begeben.

Webseite: www.gmfilms.de

Dokumentation
Israel/ Deutschland 2016
Regie & Buch: Tamar Tal
Länge: 71 Minuten
Verleih: GM Films/ Barnsteiner
Kinostart: 4. Mai 2017

FILMKRITIK:

Geboren und aufgewachsen in der Toskana waren die drei Brüder Emmanuel (heute 84 Jahre alt), Andrea (82) und der mit 73 Jahren jüngste Ruben während des Zweiten Weltkriegs dazu gezwungen, ihre Heimat Florenz zu verlassen und sich in einer abgelegenen Höhle zu verstecken. Zwischen Lebensgefahr und immer wieder auffunkelnder Hilfsbereitschaft von Menschen aus umliegenden Dörfern überlebte die Familie und emigrierte schließlich nach Palästina, wo die Brüder auch heute noch leben.
 
Als Ruben, der jüngste, der als einziger der Brüder sowohl in Israel, als auch Italien lebt, seine Brüder dazu überredet, eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen und die Höhle zu suchen, horcht auch Tamar Tal auf. Die Filmemacherin ist über ihren Mann mit den Brüdern verwandt und begleitet diesen Teil der Familie nun auf einer Suche nach Erinnerungen.
 
Eine Art Road Movie ist „Shalom Italia“ über weite Strecken, eine gelassene, entspannte Reise durch Italien, immer wieder unterbrochen durch Picknicks und Abendessen, unauffällig beobachtet, manchmal fast mäandernd, aber doch immer wieder subtil auf den Punkt gebracht. Ohne es überdeutlich zu machen, ohne es durch eigene Kommentare herauszustellen, gelingt es Tal, drei unterschiedliche Charaktere zu zeigen, die auf ihre jeweils ganz eigene Weise mit der Vergangenheit umgehen.
 
Emmanuel, der älteste, hat offenbar nie über die Erlebnisse seiner Kindheit gesprochen, die für ihn eine traumatische Erfahrung waren. Andrea dagegen, trotz seiner 82 Jahre ein agiler, überaus aktiver Abenteurer, neigt dazu, die Zeit in der Höhle in geradezu abenteuerlichen Farben zu schildern. Er hätte während der Shoah Spaß gehabt, sagt er einmal gar und man mag es ihm sogar glauben, dass für ihn das Leben im Wald und der Höhle mehr war als eine Flucht vor den Nazis. Ruben wiederum hat kaum eigene Erinnerung, zu jung war er, und ist somit auf die Erzählungen seiner Brüder angewiesen.
 
Das Erinnerungen subjektiv sind, sich auch gemeinsam erlebtes in der Erinnerung ganz unterschiedlich darstellen kann, ja sich sogar widersprechen kann ist weder eine neue, noch eine revolutionäre Erkenntnis, was Tamar Tal sehr bewusst zu sein scheint. Dementsprechend zurückhaltend inszeniert sie dann auch ihre Dokumentation und verzichtet auf jegliche spektakuläre oder gar spekulative Momente. Kaum 70 Minuten lang ist „Shalom Italia“ und damit ebenso kurz wie Tals vorheriger Film „Life in Stills.“ Der war durch seine oft eingeblendeten Fotos aus der Vergangenheit zwar visuell abwechslungsreicher, überzeugte jedoch vor allem durch eine Haltung, die auch „Shalom Italia“ prägt. Unprätentiös sind Tals Filme, genau beobachtet, nicht plakativ, sondern unterschwellig werden große Themen gestreift und von Erinnerungen erzählt, die auf ganz unterschiedliche Weise die Gegenwart prägen.
 
Michael Meyns