Silence Radio

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Kaum ein moderner Staat ist so von Korruption und Brutalität geprägt wie Mexiko. Tägliche Morde sorgen kaum noch für Erschütterung, kein Wunder, das in diesen Verhältnissen auch der unabhängige Journalismus bedroht ist. Eine der wenigen Stimmen, die sich trotz allem nicht unterdrücken lässt, ist die Radio-Moderatorin Carmen Aristegui, die im Mittelpunkt von Juliana Fanjuls beeindruckender Dokumentation „Silence Radio“ steht.

Website: https://jip-film.de/silence-radio

Radio Silence
Mexiko/ Schweiz 2019 - Dokumentation
Regie & Buch: Juliana Fanjul
Länge: 79 Minuten
Verleih: jip Film
Kinostart: 5. Februar 2021

FILMKRITIK:

Wie demokratisch kann ein Land sein, in dem sieben Jahrzehnte lang dieselbe Partei gewählt wird? In Mexiko regierte ab 1929 die PRI, was für –  unfreiwillige Ironie – Partei der Institutionalisierten Revolution steht. Für kurze Zeit verlor die Partei im Jahre 2000 die Macht, ihre Nachfolger begannen, bzw. versuchten, den Sumpf aus Korruption, Gewalt und Drogen zu bereinigen, der das Land lähmte. Eine Welle der Gewalt war die Folge und mit ihr die erneute Machtergreifung durch die PRI und ihren neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto. Der wirkt mit seinem glatten Lächeln, den perfekt frisierten Haaren schon wie ein Fernsehstar, war zu diesem Zeitpunbkt zudem mit einem Soap Opera Sternchen verheiratet und wird vom Medienkonzern MVS hofiert. Dieser Konzern wird zu 80% vom Staat finanziert, was sicherlich nicht zwangsläufig ein Problem ist, siehe die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender, in Mexiko aber zu einer Verschmelzung von Politik und Medienmacht geführt hat, die mit dem Italien unter Berlusconi und seiner Sender zu vergleichen ist.

Unabhängige Stimmen haben es hier vorsichtig gesagt schwer, denn ein Leben ist in Mexiko nicht viel wert. Auch die Radio-Journalistin Carmen Aristegui wurde im Lauf der Jahre immer wieder bedroht, bekam Patronen zugeschickt, wurde beschimpft und diffamiert. Sie steht im Mittelpunkt von Juliana Fanjuls Dokumentation, doch weniger als Unikat, denn als herausragendes Beispiel für die zwar weniger werdenden, aber immer noch präsenten unabhängigen Journalisten in Mexiko.

Bis 2015 arbeitete Aristegui für den MVS, dann wurde sie überraschend entlassen, was weitreichende Proteste und eine Petition nach sich zog, die über 200.000 Personen unterschrieben. Fortan mussten Aristegui und ihre Mitarbeiter außerhalb des Mainstreams arbeiten und fanden im Internet eine neue Heimat. Dabei werden sie dauerhaft vom Staat beobachtet und verfolgt, überwacht mit hochentwickelten Überwachungssystemen, die eigentlich der Bekämpfung des Terrorismus dienen sollen.

Selbst vor einem Einbruch in die Redaktionsräume wird nicht zurückgeschreckt, ganz offen blicken die Täter dabei in die Überwachungskameras, warum auch nicht, Repressionen haben sie nicht zu fürchten, eine Verfolgung durch die Polizei ist ausgeschlossen. Das Carmen Aristegui, aber auch Juliana Fanjulk noch am Leben sind mag wie ein Wunder erscheinen, denn gerade auch kritische Journalisten sind in Mexiko nicht sicher. Regelmäßig werden sie ermordet, ein Täter nie ermittelt.

Möglicherweise ist es aber ihre Popularität, die Aristegui schützt. Immer wieder sieht man Bilder, wie sie mitten auf der Straße von Passanten angesprochen und für ihre Arbeit beglückwünscht wird. Vielleicht ein Zeichen der Hoffnung, dass Mexiko noch nicht völlig unter dem Bann seiner korrupten Elite steht, so lange es engagierte Journalisten wie Carmen Aristegui, aber auch Filmemacherinnen wie Juliana Fanjul gibt, scheint noch nicht alles verloren.

Michael Meyns