Silent Heart

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Esther ist todkrank. Bevor sie aus dem Leben gehen will, sammelt sie noch einmal ihre Lieben um sich... Bille August erzählt diese Geschichte als Psychogramm einer Familie mit sehr guten Darstellern und in einfühlsamen Bildern. Das engagierte Melodram verliert sich leider manchmal in Klischees und überflüssigen Volten. Die Story an sich aber ist facettenreich: Es geht um generelle Fragen von Krankheit und Tod, um familiäre Konflikte, aber auch um die Schönheit des Augenblicks.

Webseite: www.movienetfilm.de

Originaltitel: Stille hjerte
Dänemark 2014
Regie: Bille August
Drehbuch: Christian Torpe
Darsteller: Ghita Norby, Paprika Steen, Danica Curcic, Morten Grunwald, Pilou Asbaek, Jens Albinus, Vigga Bro, Oskar Saelan Halskov
Länge: 98 Minuten
Verleih: Movienet
Kinostart: 24. März 2016
 

FILMKRITIK:

Für ihr letztes Familienwochenende hat sich Esther (Ghita Norby) etwas ganz Besonderes ausgedacht: Sie möchte noch einmal mit allen ihren Liebsten Weihnachten feiern, bevor sie einen tödlichen Cocktail zu sich nimmt. Dabei spielt es gar keine Rolle, dass es erst Herbst ist, denn Esther hat sich das Ganze zusammen mit ihrem Mann Poul (Morten Grunwald) gut überlegt: Sie leidet an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS und will sterben, bevor die schlimmste Leidenszeit beginnt. Auch ein ganz praktischer Grund steckt hinter ihrer Absicht, denn nach dänischem Recht muss sie noch in der Lage sein, die Medikamente selbst einzunehmen, wenn sie den Freitod wählt. Falls ihr ein anderer dabei helfen müsste, würde er sich strafrechtlich schuldig machen. Noch kann Esther einen Arm ganz gut bewegen, auch wenn sie ansonsten schon recht eingeschränkt ist.
 
Die Stimmung ist verständlicherweise eher gedrückt, aber man reißt sich zusammen. Alle wissen Bescheid, und alle akzeptieren Esthers Entscheidung, oder zumindest sieht es anfangs so aus, als wollten sie den Wünschen der Kranken folgen. Esthers ältere Tochter Heidi (Paprika Steen) erscheint mit Ehemann und Sohn, die jüngere Tochter Sanne (Danica Curcic) bringt ihren zugekifften Freund Dennis mit. Ebenfalls zu Gast ist Lisbeth, Esthers beste Freundin. Schnell wird klar, dass die beiden Schwestern Sanne und Heidi vollkommen unterschiedlich sind: Heidi ist resolut und zupackend – und Paprika Steen spielt die Rolle ganz wunderbar, eine offenkundig taffe, selbstbewusste Frau, scheinbar vollkommen unerschütterlich. Sanne dagegen ist sensibel, labil und voller Widersprüche. Danica Curcic macht aus ihr eine glaubwürdige Frau, die mit sich selbst in der Dauerkrise lebt. Konflikte bleiben also nicht aus, und während Esther versucht, ihr letztes Familienwochenende so schön und harmonisch wie möglich zu gestalten, brodeln im Hintergrund die Emotionen. Schließlich stellt sich heraus, dass Sanne den Selbstmord ihrer Mutter im letzten Moment verhindern will. Heidi versucht, die Schwester von ihrem Vorhaben abzubringen, doch kaum scheint das gelungen, taucht ein neues Problem auf: Hat womöglich Poul geplant, Esther los zu werden?
 
Warum sich Bille August für ein Drehbuch entschieden hat, das vor allem zum Ende hin an bildungsbürgerliche Frauenromane aus vergangenen Zeiten erinnert, lässt sich vielleicht mit der Unsicherheit erklären, die ihn angesichts des schwierigen Themas befallen haben könnte. Aus dem Willen heraus, sich dem Thema Freitod und dem Recht zu sterben so ausführlich und politisch korrekt wie möglich zu nähern, ist er übers Ziel hinausgeschossen. Bille August wollte etwas Bedeutsames bedeutsam erzählen – und das merkt man. Allerdings verfügt der Film auch über große Qualitäten, was besonders an den wunderbaren Darstellern liegt. Sehr schön zeigt Bille August die innerfamiliären Verflechtungen und Entwicklungen. Esthers Rolle als Ehefrau, Mutter und Großmutter wird immer klarer, je näher der Moment des Abschieds rückt, ebenso ihre Energie und ihr Willen, die Schmerzen zu ertragen. Die große Ghita Norby spielt Esther als disziplinierte, hoch kultivierte Frau, die im Angesicht des Todes manchmal richtig locker wird und dank Dennis endlich ihren ersten Joint rauchen kann. Morten Grunwald spielt mit großer Ruhe und augenfälliger Gelassenheit ihren Mann Poul, einen pensionierten Arzt. Beinahe körperlich spürbar ist die Kraft, mit der Poul versucht, Normalität zu schaffen, um Esther dieses Wochenende so angenehm wie möglich zu gestalten. Ebenso rührend wie schön ist die Szene, in der alle zusammen alte Fotos anschauen. Doch immer wieder brechen Konflikte auf – die Situation lässt dann doch die Nerven blank liegen, und besonders die beiden gegensätzlichen Schwestern haben großen Klärungsbedarf.
 
Bille August zeigt die Geschichte als Beinahe-Kammerspiel. Fast der gesamte Film spielt in Esthers und Pouls blitzblank geputztem Klinkerhaus, nur selten geht es hinaus ins Freie, wo eine weitgehend trübe Herbststimmung die Melancholie der Handlung noch unterstützt. In warmen Farben fängt Dirk Brüel mit der Kamera die intensive Atmosphäre ein. Und eines wird dabei sehr deutlich: Die Familie ist hier nicht nur Brennpunkt von Spannungen, sondern sie wird im Idealfall zum Ort der Ruhe, wo alle sich zu Hause fühlen können. Bis zum Schluss.
 
Gaby Sikorski