Skinamarink

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Was für ein eigenwilliger Film! In seinem abendfüllenden Regiedebüt „Skinamarink“ – der Titel geht auf ein in Nordamerika beliebtes Mitsinglied für Kinder zurück – setzt der Kanadier Kyle Edward Ball dem auf möglichst aggressive Effekte vertrauenden Geisterbahnhorror des Gegenwartskino einen geradezu provozierend minimalistischen Ansatz entgegen. Wer Schockparaden, Blutfontänen und hektische Bilder von einem Schauerstreifen erwartet, wird hier schon nach spätestens zehn Minuten aussteigen. „Skinamarink“ unterläuft auf radikale Weise gängige Erwartungen und zieht seinen experimentellen Stiefel ohne Rücksicht auf Verluste durch. Der Mut und die stilistische Vision sind bewundernswert. Balls Konzeption vermag allerdings nicht über fast 100 Minuten zu tragen.

Webseite: https://www.capelight.de/skinamarink

Regie: Kyle Edward Ball
Drehbuch: Kyle Edward Ball
Darsteller: Lucas Paul, Dali Rose Tetreault, Ross Paul, Jamie Hill

Länge: 100 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: capelight pictures/Central
Kinostart: 07.09.2023

FILMKRITIK:

Es sind menschliche Urängste, an denen der Ultra-Low-Budget-Grusler rührt: die Furcht vor dem, was sich in der Dunkelheit verbergen könnte, und das Gefühl, allein und schutzlos zu sein. Dinge, die nicht nur, aber vor allem Kinder schwer erschüttern können. Eines Nachts stellen der vierjährige Kevin (Lucas Paul) und seine sechsjährige Schwester Kaylee (Dali Rose Tetreault) nach dem Aufwachen fest, dass niemand sonst mit ihnen im Haus ist. Schlimmer noch: Türen, Fenster und einige Gegenstände sind plötzlich verschwunden. Halt bietet den beiden einzig der Fernseher, auf dem sie sich alte Cartoons anschauen. Als von irgendwoher eine Stimme zu ihnen spricht, nimmt das Unheil seinen Lauf – wobei Lauf in diesem Fall das falsche Wort ist. Denn ein Eskalationsgewitter, wie wir es aus so vielen Spukwerken kennen, bricht zu keinem Zeitpunkt über die kleinen Protagonisten und das Publikum herein.

Dass in Balls Debütarbeit einiges anders ist als in klassisch gestrickten Horrorfilmen, unterstreichen schon die ersten Einstellungen: Ein Überblick wird uns verwehrt. Finsternis herrscht vor. Lampen spenden allenfalls spärliches Licht. Die Hauptfiguren bekommen wir nicht richtig zu sehen. Und die Perspektive wirkt seltsam unfokussiert. So, als interessiere sich die Kamera nicht für Kevin und Kaylee. Was sie uns zeigt, zum Einstieg und auch später, sind meistens statische Aufnahmen von Zimmerecken, Treppenhäusern oder dem Fernseher, der, ähnlich wie in Tobe Hoopers „Poltergeist“ etwas merkwürdig Beunruhigendes an sich hat. Die auf ihm abgespielten Zeichentrickfilmchen bilden mit ihren heiteren Melodien ein Kontrastprogramm zur Verunsicherung der Kinder, deren Flüstern immer wieder die Dunkelheit zu hören ist.

Was ebenfalls auffällt: Obwohl die Handlung im Jahr 1995 verortet ist, scheint „Skinamarink“ selbst aus einer noch weiter entfernten Zeit zu stammen. Die Bilder sind krisselig. Permanent liegt auf der Tonspur ein statisches Rauschen. Und manche Dialoge brechen regelrecht ab, werden verschluckt, erschließen sich nur dank der eingefügten Untertitel. Nicht zuletzt die Gestaltung des Vorspanns erweckt den Eindruck, es mit einem Film aus den 1970er Jahren zu tun zu haben. Einem Film, der unter denkbar einfachen Bedingungen entstand. Formal beherrscht der Regisseur sein Handwerk, schafft es, eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen.

Warum sich sein Erstling unter anderem bei TikTok und Reddit zu einem kleinen Phänomen entwickelt hat, ist dennoch etwas erstaunlich. Denn bei aller Freude über den basalen, traditionelle Schockkniffe nur ganz selten bemühenden Ansatz lässt sich eine gewisse Monotonie nicht bestreiten. Hier und da gibt es kleine Entwicklungen. Auf Dauer wirkt die Erzählung allerdings arg breitgetreten und kommt nicht vom Fleck. Unbehagen heraufzubeschwören, ist keine Hexenkunst, es längere Zeit zu konservieren aber alles andere als leicht, wie Balls Schauerstück beweist.

Da die Kinder nicht mehr als Schatten im Dunkeln sind, bleiben sie einem seltsam fremd, fällt es schwer, um sie zu zittern, eine echte Bindung zu ihnen aufzubauen. Als Kurzfilm mag ihr nächtlicher Albtraum funktionieren. In langer Form produziert er statt tiefgreifendem Schrecken jedoch einiges an Langeweile. Vielleicht hätte es schon ein wenig geholfen, wenn manche der aufblitzenden thematischen Ideen einen Tick ausgefeilter wären. Zwischen den Zeilen deutet sich zum Beispiel an, dass man „Skinamarink“ als Metapher für den kindlichen Schmerz nach einer Trennung lesen kann. Mehrere Hinweise legen den Schluss nahe, dass die Protagonisten nicht in gefestigten Familienstrukturen leben. Einen solchen Gedanken zum Ausgangspunkt einer Gruselstory zu machen, kann durchaus spannend sein. Hier erwartet das Publikum aber eher eine – stilistisch sicher bemerkenswerte – Übung in Geduld, die das Warten nur bedingt rechtfertigt.

 

Christopher Diekhaus