Sleeping Dogs – Manche Lügen sterben nie

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Dass Oscar-Preisträger Russell Crowe, prämiert für seine Tour-de-Force-Darbietung in „Gladiator“ (2000), ein guter Schauspieler ist, steht außer Frage. Selbst anspruchslose B-Ware wie den Thriller „Unhinged – Außer Kontrolle“ (2020) oder den Horrorstreifen „The Pope’s Exorcist“ (2023) hebt er mit seiner darstellerischen Wucht zumindest ein bisschen an. Vollen Einsatz zeigt er auch in „Sleeping Dogs – Manche Lügen sterben nie“, einer Adaption des Romans „Das Buch der Spiegel“ von E. O. Chirovici. Ein engagierter Russell Crowe ist jedoch nicht genug, um Adam Coopers Kriminalfilm rund um einen an Alzheimer erkrankten Polizisten und dessen Ermittlungen in einem alten Fall in ein spannendes Stück Leinwandunterhaltung zu verwandeln.

Originaltitel: Sleeping Dogs
USA 2024
Regie: Adam Cooper
Drehbuch: Adam Cooper und Bill Collage nach dem Roman „Das Buch der Spiegel“ von E. O. Chirovici
Cast: Russell Crowe, Karen Gillan, Tommy Flanagan, Marton Csokas, Harry Greenwood, Thomas M. Wright, Pacharo Mzembe u. a.
Länge: 110 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Paramount Pictures Germany
Website: https://paramount.de/sleepingdogs
Kinostart: 29. August 2024

FILMKRITIK:

Erinnerungen weckt die Literaturverfilmung in den ersten Szenen an Christopher Nolans Durchbruchswerk „Memento“ (2000), das von einem Mann mit fragmentarischem Kurzzeitgedächtnis auf der Suche nach dem Mörder seiner Frau erzählt. Im Kampf gegen das ständige Vergessen macht sich der Protagonist unaufhörlich Notizen, beschriftet Fotos und tätowiert vermeintliche Indizien auf seinen Körper. Hinweise auf Klebezetteln dominieren in „Sleeping Dogs – Manche Lügen sterben nie“ die stets abgedunkelte Wohnung der Hauptfigur, die sich offenbar nur mit solchen Hilfen durch den Alltag manövrieren kann. Der von seiner Alzheimererkrankung gezeichnete Ex-Polizist Roy Freeman (Russell Crowe) lebt in einem fortwährenden Dämmerzustand, filmisch unterstrichen durch verzehrte Perspektiven. Selbst der eigene Name scheint ihm öfters zu entfallen. Wie kommt ein Mensch in diesem Zustand überhaupt allein zurecht, fragt man sich unweigerlich.

Eine experimentelle, zwei dicke Nähte auf seiner Schädeldecke hinterlassende Behandlung soll sein Gedächtnis wieder etwas in Schwung bringen. Und seine Ärztin ist optimistisch, dass sich schon bald Besserung einstellen wird. Sofern Roy seinen Kopf regelmäßig trainiert, etwa beim Puzzeln. Ein Rätsel ganz anderer Güte kommt auf ihn zu, als der zum Tode verurteilte Isaac Samuel (Pacharo Mzembe) kurz vor seiner Hinrichtung um ein Gespräch bittet. Obwohl er in einem Mordfall einst vor Freeman und dessen Partner Jimmy Remis (Tommy Flanagan) ein Geständnis ablegte, beteuert er nun seine Unschuld und drängt den früheren, wegen eines Unfalls unter Alkoholeinfluss aus dem Dienst ausgeschiedenen Ermittler dazu, nach der Wahrheit zu graben.

Roy kann sich an die alte Geschichte nicht mehr erinnern, kramt dann aber doch Archivunterlagen heraus, die er – das tun Film- und Fernsehpolizisten nun mal – bei sich zu Hause lagert. Als er vom Tod eines möglichen Verdächtigen erfährt, gelangt er in den Besitz eines nie veröffentlichten Manuskriptes, das die konfliktive, sexuell aufgeladene Beziehung zwischen dem Autor Richard Finn (Harry Greenwood), der Psychologiestudentin Laura Baines (merkwürdig theatralisch: Karen Gillan) und ihrem Doktorvater Joseph Wieder (Marton Csokas), dem damaligen Mordopfer, schildert.

Immer wieder ist es zu spüren. Adam Cooper, der hier nach mehreren Drehbucharbeiten sein Regiedebüt vorlegt, schwebt eine clevere, Fragen nach Identität, Trauma, Wahrnehmung und Schmerz aufwerfende Detektivgeschichte mit Noir-Anleihen vor. Das Skript, das er und Bill Collage („Emancipation“) aus der Romanvorlage entwickelt haben, ist aber nicht mal halb so schlau, wie es gerne wäre. Als störend erweist sich schon die inkonsistente Zeichnung des Alzheimerpatienten. Wirkt Roy angesichts seiner Zettelwirtschaft in der Einführung regelrecht hilflos, gelingt es ihm dann und wann erstaunlich gut, Zusammenhänge zu erkennen oder von einem Ort zum anderen zu gelangen. Das Vergessen ist stets nur so ausgeprägt, wie es dem Drehbuch gerade in den Kram passt. Auch die kleinen Erfolge dank der speziellen Therapie taugen da nur bedingt als Erklärungen.

Ebenfalls schwierig, dass ein beträchtlicher Teil der Handlung aus Rückblenden besteht, die teilweise an eine seifige Schmonzette erinnern. Die Farben leuchten, die Bilder sind fast aggressiv warm und stehen damit in deutlichem Kontrast zu den tristen, ausgebleichten Aufnahmen aus Roys Gegenwart. Nuancen kennt der Film eher nicht. Dass die Flashbacks oft seltsam künstlich wirken, mag Sinn ergeben. Immerhin taucht Freeman über Richards Manuskript in ein subjektiv gefärbtes, womöglich stark ausgeschmücktes Dreiecksverhältnis ein. Der Krimispannung ist es aber wenig zuträglich, wenn man mehrfach das Gefühl hat, in einer Rosamunde-Pilcher-Szenerie gelandet zu sein.

So sehr sich Russell Crowe auch abmüht, durch unsichere Blicke und kleine Gesten das Porträt eines verzweifelten Mannes zu entwerfen – wirklich unter die Haut geht Roys Erkenntnisreise nicht. Kein Wunder, wenn Sex-and-Crime-Klischees mehr und mehr ins Zentrum rücken und zunehmend deutlich wird, dass Freemans Verfassung letztlich nur ein für den finalen Twist benötigter Drehbuchkniff ist, ein plot device, wie man im Englischen sagen würde. Besonderes Interesse an den Mechanismen des Gedächtnisses und an Traumaerfahrungen kann man den Machern jedenfalls nicht attestieren. Egal, wie oft es in den Dialogen um derartige Themen gehen mag. Der intendierte Überraschungs- und Schockeffekt in den letzten Einstellungen ist übrigens keineswegs garantiert. Denn irgendwann lassen sich die Hinweise auf des Rätsels Lösung fast nicht mehr übersehen.

Christopher Diekhaus