Smoke Sauna Sisterhood

Zum Vergrößern klicken

Auch in Deutschland erfreut sich das Saunieren einiger Beliebtheit, doch in Estland hat es eine Tradition, die sogar von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe gewürdigt wird. In ihrem Dokumentarfilm „Smoke Sauna Sisterhood“ führt die estnische Regisseurin Anna Hints in die Welt der Saunas ihrer Heimat ein, die nicht nur der körperlichen, sondern vor allem auch der seelischen Gesundheit dienen.

Dokumentarfilm
Estland / Frankreich/ Island 2022
Regie & Buch: Anna Hints

Länge: 89 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 23. November 2023

FILMKRITIK:

Vana-Võromaa heißt die Region im Südosten des baltischen Staates Estland, in dem die traditionelle Rauchsauna beheimatet ist. Für ihren über mehrere Jahre entstandenen Debütfilm „Smoke Sauna Sisterhood“ drehte die estnische Regisseurin Anna Hints in einer malerisch an einem See gelegenen Sauna, in der sich zu jeder Jahreszeit Frauen aus den umliegenden Orten einfinden. Wo die Männer saunieren bleibt offen, im Film sind – wie der Titel schon andeutet – nur Frauen zu sehen, „All meinen Schwestern“ hat Hints den Film dann auch gewidmet.

Wie aus der Welt gefallen wirkt dieser Ort, Anzeichen der Zivilisation des 21. Jahrhunderts sind nicht zu sehen, was einerseits zu einer alten Tradition passt, andererseits im Laufe des Films auch schmerzlich deutlich werden lässt, wie wenig sich im Verhältnis der Geschlechter im Lauf der Zeit geändert, vor allem verbessert hat.

Sauniert wird hier wie seit Menschengedenken, stundenlang wird die Sauna vorgeheizt, zwischendurch wird im Winter in ein Eisloch im See abgekühlt, im Sommer im feuchten Gras. Doch nicht nur für den Körper sind die estnischen Saunas da, viel wichtiger scheint ihre Funktion als Ort der seelischen Gesundheit.

Denn während die unterschiedlichen Frauen saunieren, reden sie, erzählen sich von ihrem Alltag, von amüsanten Geschichten, nicht zuletzt aber auch von schmerzhaften Momenten, die von Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen reichen. „Wir schwitzen die Angst raus, wir schwitzen den Schmerz raus“ heißt es an einer Stelle, was den Effekt der Sauna ziemlich genau trifft.

Zurückhaltend bleibt dabei die Kamera – die erstaunlicherweise von einem Mann geführt wurde – auch wenn zwangsläufig viel nackte Haut zu sehen ist. Doch das schummrige Licht sorgt für Distanz, lässt die älteren und jüngeren Frauen wie Figuren auf Gemälden aus der Renaissance wirken, allerdings ohne sie zu mythischen Gestalten zu stilisieren.

Mit großer Ruhe hört Anna Hints ihren Protagonistinnen zu, die sich ihr im Laufe der jahrelangen Dreharbeiten anvertraut haben. Anfangs oft noch ohne ihr Gesicht im Bild sehen zu wollen, gerade wenn es um Geschichten sexueller Belästigung geht, später oft offener, direkter in die Kamera blickend.

Das „Smoke Sauna Sisterhood“ ein Bild der Gegenwart spiegelt wird durch Momente deutlich, in denen etwa eine moderne Dating-App wie Tinder erwähnt wird oder das allzu zeitgenössische Unding des Versendens von Dickpics. Doch die Erfahrungen, von denen die Frauen berichten – Schwangerschaften, Krebserkrankungen, Coming-Outs, sexuelle Belästigungen – sind zeitlos und verleihen dem Geschehen einen universellen Charakter.

 

Michael Meyns