So viele Jahre liebe ich dich

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Das Drama von Philippe Claudel gewann auf der diesjährigen Berlinale den Publikumspreis. Kristin Scott Thomas spielt darin eine Frau, die nach 15 Jahren Gefängnis zaghaft den Weg zurück in ein harmonisches Leben sucht. Mit fortlaufender Spieldauer entwickelt sich Claudels Regiedebüt zu einer bemerkenswerten Sinnsuche, die der Frage nachgeht, wie Menschen mit ihrer Freiheit umgehen. 

Webseite: www.alamodefilm.de

OT: Il y a longtemps que je t’aime
Frankreich 2008
Regie + Buch: Phlippe Claudel
Darsteller: Kristin Scott Thomas, Elsa Zylberberg, Serge Hazanavicius, Laurent Grevil, Frédéric Pierrot u.a.
Länge: 115 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 13.11.2008

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Philippe Claudels Film ist eine Parabel über Menschen, die innerlich und äußerlich gefangen sind. Ein Drama über die unsichtbaren Gefängnisse der Emotionen, die sich dennoch nach und nach auflösen können. Er ist die Geschichte von Juliette (Kristin Scott Thomas), die aus einem echten Gefängnis entlassen wird, für einen Mord, den sie vor 15 Jahren begangen hat. Ihr blasses, graues Gesicht scheint über die Zeit die Farbe der Gitter angenommen zu haben, die Augen sind leer und der Blick ausdruckslos. 

Philippe Claudels Bilder nehmen zu Anfang seiner Erzählung eine ähnliche Form an – statisch, kühl und kantig. Juliettes Schwester Léa (Elsa Zylberstein) ermöglicht ihr den behutsamen Start in ein neues Leben und nimmt sie in ihrer Familie auf. Zaghaft gewöhnt sich Juliette an den neuen Alltag, nach und nach verlässt sie das Gefühl der Isolation und des Alleinseins. Mit der ihr entgegengebrachten Geborgenheit durch Familie und Freunde kann sie sich zum ersten Mal ihren traumatischen Erlebnissen stellen und den Versuch wagen, ein neues Leben zu beginnen. 

Philippe Claudels Figuren sind ein Ensemble der Einsamen und Suchenden. Glück und Zufriedenheit ist hier nur den Kindern oder dem Familienvater überlassen, der nach einem Schlaganfall zwar nicht mehr sprechen kann, aber in seiner Hausbibliothek und beim gemeinsamen Abendbrot vollkommene Zufriedenheit ausstrahlt. Darüber hinaus verhandelt der Film wichtige Werte wie Freiheit und Zusammenhalt, die hier stets korrespondieren. Ihrem neuen Leben ist Juliette nach 15 Jahren im Gefängnis kaum gewachsen, doch scheinbar sind es die meisten Menschen die sie in der Freiheit trifft, auch nicht. 

Phlippe Claudels Lösung für die emotionale Isolation seiner Figuren sind die Familie und Freundschaften, die hier mit den Mitteln bissiger Ironie gepflegt werden. Wie ein wahrer Seelenbalsam wirkt seine klischeefreie Inszenierung der groß angelegten  sonntäglichen Treffen der Mütter und Väter mit Freunden und Bekannten, bei der das Landhaus im Grünen zum Wohlfühl-Mikrokosmos wird.    

„So viele Jahre liebe ich dich“, der auf der vergangenen Berlinale den Publikumspreis sowie den Preis der Ökumenischen Jury gewann, ist aber nicht nur eine emotionale Abhandlung über die Neuentdeckung verloren geglaubter Gefühle, sondern auch eine Paraderolle für Kristin Scott Thomas. Die gebürtige Engländerin, die mit 19 Jahren nach Frankreich ging und 1992 in Roman Polanskis „Bitter Moon“ ihren Durchbruch feierte, war bislang eher auf wunderbar glamouröse und stilvolle Rollen gebucht. Hier kann man ihre bemerkenswerte Verwandlung beobachten, wenn sie zu Beginn des Films noch blass und kühl das Leben eher als ein Aushalten begreift und später zu wohltemperierter Lebensfreude übergeht, die schließlich einen fast zufriedenen Menschen zeigt, der beweist, dass man die Wunden der Vergangenheit hinter sich lassen kann.

David Siems
 
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Léa, Juliettes Schwester, holt diese ab. Juliette war 15 Jahre im Gefängnis. Warum? Sie scheint etwas Furchtbares getan zu haben. Erst viel später stellt sich heraus, warum sie es tat, warum sie es tun musste, dass sie keine andere Wahl hatte. Während ihres Gerichtsprozesses schwieg sie beharrlich. Nicht zuletzt deshalb dürfte sie zu einer derart langen Haft verurteilt worden sein. Die Eltern der beiden Schwestern verdammten Juliette ob ihrer Tat und schlossen sie für immer aus. Die jüngere Léa wuchs praktisch wie ein Einzelkind auf. 

Doch sie vergaß Juliette nicht. Tagebücher beweisen das. Jetzt müssen die zwei wieder zusammenfinden. Dass Juliette sich dabei unendlich schwer tut, spürt man lange. Auch mit Léas Familie ist es nicht so einfach – weniger mit den beiden vietnamesischen Adoptivmädchen als mit Léas Ehemann Luc. Wie kann Juliette, die früher Ärztin war, Arbeit finden? Und wie wird ihre Begegnung mit Männern ausfallen?

Langsam, ganz langsam lichtet sich ihr Leben wieder. Dass ihre Tat keine Untat war, wird klar. Und vielleicht entstehen sogar Gefühle für den noblen Michel, dessen Frau vor Jahren durch einen Unfall ums Leben kam.

Ein Film mit beachtlicher emotionaler Tiefe. Er ist dramaturgisch geschickt aufgebaut. Denn ganz behutsam nur erfährt man – ein wesentliches Spannungselement -, was früher geschehen ist, und ebenso feinfühlig erlebt man mit, wie Juliette wieder ins Leben zurückkehrt. Ruhig, teils natürlicherweise quälend, konsekutiv-logisch und insgesamt überzeugend läuft das ab. Bis zum ersten Lichtblick.

Dem Romancier Philippe Claudel ist hier ein glänzender Regiewurf gelungen, unterstützt von den beiden wunderbaren Darstellerinnen Kristin Scott Thomas – besonders sie ist
höchst bemerkenswert – als Juliette und Elsa Zylberstein als Léa. Sehr gut auch die beiden Männer Laurent Grévill als Michel und Frédéric Pierrot als Fauré.

Bei einem Werk dieser Güte wird’s künstlerisch hochinteressant.

Thomas Engel