Sommer vorm Balkon

Regie: Andreas Dresen
Buch: Wolfgang Kohlhaase
Kamera: Andreas Höfer
Schnitt: Jörg Hauschild
Musik: Pascal Comelade
Darsteller: Nadja Uhl, Inka Friedrich, Andreas Schmidt, Stephanie Schönfeld, Christel Peters
Deutschland 2005, 107 Minuten, Format 1: 1,85
Verleih: X Verleih
Kinostart: 5. Januar 2006

Nach dem eher misslungenen Willenbrock, findet Andreas Dresen in seinem neuen Film zu alter Form zurück. Angesiedelt im Berliner Prenzlauer Berg schildert er ein paar Wochen im Leben zweier Frauen, wunderbar gespielt von Inka Friedrich und Nadja Uhl, die auf unterschiedliche Weise versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen und so etwas wie Glück zu finden. Ein ganz wunderbarer, berührender, witziger Film über das Leben.

Sommer in Berlin. Die beiden Freundinnen Nike (Nadja Uhl) und Katrin (Inka Friedrich) verbringen ihre Abende gerne und oft auf Nikes Balkon, trinken viel und machen sich über die Männerwelt lustig. Nike arbeitet als Altenpflegerin, ist sexy, offenherzig und mit dem gesegnet, was man „Berliner Schnauze“ nennt. Katrin dagegen ist ruhiger. Als arbeitslose Schaufensterdekorateurin versucht sie die Wünsche ihres Sohnes Max zu erfüllen, trauert immer noch der verflossenen Ehe hinterher und greift immer öfter etwas zu sehr nach der Flasche. Die Zeichnung der Figuren ist geprägt von großer Anteilnahme und viel Gespür für das Berliner Lokalkolorit. Angefangen von einem typischen Berliner Eckbalkon, über misslaunige Rentner, bis zur Kneipe an der Ecke, in der die Frauen gerne essen und in der Nike den Lastwagenfahrer Ronald (Andreas Schmidt) kennen lernt. Während Nike sich an der trügerischen Hoffnung erfreut, endlich einen Mann gefunden zu haben, sinkt Katrin fast unmerklich immer tiefer in Depression und Selbstmitleid. Ihre oft zur Schau gestellte Stärke erweist sich als Trugschluss. Erst die beinahe Vergewaltigung nach einer durchzechten Nacht bringt sie nach einem lebensgefährlichen Absturz zur Besinnung.

Versuchte sich Dresen in Willenbrock noch an einem hyperstilisierten, im Scope-Format gedrehten und den stilistischen Umständen entsprechend extrem konstruiertem Film, der in erster Linie durch die wie stets bei Dresen exzellenten Schauspieler überzeugen konnte, kehrt er mit Sommer vorm Balkon wieder zur intimeren Form zurück. So experimentell und improvisiert wie sein großer Erfolg Halbe Treppe geht es hier zwar nicht zu, es ist jedoch deutlich zu merken, dass sich Dresen in diesem kleineren Format, in größerer Nähe zu seinen Figuren, wohler fühlt.

Mit liebevollem Blick beobachtet der Film seine Figuren, lässt sie nie aus den Augen, lässt ihnen aber genug Raum zum nachdenken und leiden, ohne den Zuschauer mit aufgedrückten Emotionen überwältigen zu wollen. So zurückhaltend wie der Film seine Geschichte erzählt, so endet er auch. Keine überwältigenden Änderungen sind passiert, das Leben hat sich nicht komplett geändert, aber das tut es in der Realität ja auch nicht. Nike und Katrin haben wieder zueinander gefunden, haben ein bisschen Lebenserfahrung mehr gesammelt, manche gute, manche schlechte Erfahrung gemacht, das Leben geht weiter, auch wenn der Film vorbei ist. Für gute 100 Minuten hat man nicht mehr getan als zwei ziemlich normalen Menschen beim Leben zugesehen, sie normale Situationen und Probleme durchleben sehen, aber das hat mehr berührt, als die meisten vermeintlich „größeren“ Filme.

Michael Meyns