Sonnenplätze

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Alle übermächtigen Väterfiguren, die auf der Kinoleinwand auftauchen, haben eines gemeinsam: Wenn die Schlusstitel laufen, ist die Übermacht dahin. Im Kino – leider nicht immer im wirklichen Leben – sind Patriarchen zum Dekonstruieren da, sei es im schwergewichtigen Drama oder in einer federleichten Sommerkomödie wie „Sonnenplätze“.
Die erfrischende Familien-Dramödie von Aaron Arens, in der ein machtsüchtiger und kleingeistiger Ex-Großliterat ungewollt seine ganze in sich und mit ihm zerstrittene Familie um sich schart, hat das Zeug zu einem kleinen Sommerhit: intelligent, witzig, entlarvend und mit tollen Dialogen.

Webseite: https://www.filmweltverleih.de/cinema/movie/sonnenplaetze
Deutschland 2023
Regie: Aaron Arens
Drehbuch: Aaron Arens, Lukas Loose
Darsteller: Julia Windischbauer, Juliane Köhler, Niels Bormann, Jeremias Meyer, Jeremy Mockridge
Kamera: Tobias Blickle
Musik: Viktor Mosler, Fabian Gisler
Länge 92 Minuten
Verleih: Filmwelt Verleihagentur
Start: 22.08.2024

FILMKRITIK:

Die Nachwuchsautorin Samuela Maibaum (Julia Windischbauer), genannt Sam, sitzt gewaltig in der Druckertinte: Sie hat weder Geld noch ein Dach über dem Kopf und praktisch keine Möglichkeit mehr, ihren Erstlingsroman zu Ende zu schreiben, bevor der Verlag endgültig abspringt. Kurzerhand mopst sie ihrer Mutter Sybille (Juliane Köhler) den Schlüssel zum Ferienhaus der Familie auf Lanzarote und macht sich auf den Weg dorthin, ebenso wie ihr Bruder Frederick (Jeremias Meyer), der sich einfach an sie dranhängt. Doch das Ferienhaus ist schon besetzt: Niemand anders als ihr Vater Jo (Niels Bormann), ein verkrachter Bestseller-Autor, der von seinem rapide schwindenden Ruhm zehrt, schießt dort in Unterwäsche auf imaginäre Wachteln, die den Swimmingpool bedrohen. Als sie gemeinsam mitbekommen, dass Sybille heimlich ihr Ferienhaus, DIE Fluchtburg der ganzen Familie, den Hort der gemeinsamen schönen Erinnerungen, verkaufen will, beginnen Vater, Sohn und Tochter zusammenzuarbeiten, um potenzielle Käufer abzuschrecken. Das gelingt ihnen so gut, dass alsbald Sybille mit ihrem Toy-Boy Marc (Jeremy Mockridge) aufkreuzt, um zu retten, was zu retten ist. Der große Familien-Showdown kann beginnen …
„Wo wir sind, klappt nichts, aber wir können ja nicht überall sein“, könnte das Familienmotto der Maibaums sein, einer Künstlerfamilie, bei der sogar das Scheitern an den eigenen Ansprüchen zur Kunstform geworden ist. Deshalb gestaltet sich die Generalabrechnung zunächst auch ziemlich schwierig: Es gibt einfach zu viele Dinge in der Familienhistorie, die man einander zum Vorwurf machen kann: Wo anfangen? Und aufhören darf man erst recht nicht, sonst könnte man selbst zur Zielscheibe werden. Das ehemalige Familienoberhaupt Jo versucht auf jede nur denkbare Art zu vermeiden, diese Zielscheibenposition einzunehmen. Er gibt den immer weniger liebenswerten Exzentriker, schmiedet Ränke und Intrigen wie ein Westentaschen-Richelieu und zündet ganze Batterien von Nebelkerzen, damit nur niemand merkt, was für eine Luftnummer er im Grunde genommen ist: Er hat nicht nur die eigene Karriere verbockt, sondern auch mit allen Mitteln verhindert, dass irgendein anderes Familienmitglied auch nur eine Zehenspitze aus seinem Schatten herausreckt.
Niels Bormann liefert als Jo eine wirklich beeindruckende schauspielerische Leistung, nicht zuletzt, weil er aus der Rolle eben nicht die naheliegende Knallcharge gemacht hat, sondern weil er – bei aller Komik – immer die Verletzlichkeit des Gescheiterten mitspielt und vor allen Dingen mitdenkt. Die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler stehen ihm nicht nach. In „Sonnenplätze“ erlebt das Publikum etwas, das im deutschen Film leider recht selten geworden ist: ein funktionierendes Ensemblespiel, bei dem alle Beteiligten ihre jeweilige Geschichte so erzählen, dass am Ende ein stimmiges Gesamtbild entsteht.
Trotz oder gerade wegen der ernsthaften, psychologisch gut abgepassten Unter- und Zwischentöne hat „Sonnenplätze“ das Zeug zum Sommerkomödien-Hit – nicht nur, weil der selbst aus einer Künstlerfamilie stammende Regisseur und Drehbuch-Coautor Aaron Arens das Milieu so gut kennt, von dem er erzählt, sondern weil er dabei sein leicht distanziertes Augenzwinkern behält. Und so wie die Sonne über dem Maibaum’schen Ferienhaus auf Lanzarote lacht, wird auch das Publikum im Kinosaal über die Maibaums lachen … bis zum Beinahe-Happy End.

Gaby Sikorski