Sound of Freedom

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Über kaum einen Film wurde in den USA in den letzten Monaten mehr gestritten als über „Sound of Freedom“, was weniger mit dem Film selbst zu tun hat, als mit den Zuschauern, die ihn für sich vereinnahmen: Querdenker, Trump-Genossen, Anhänger von QAnon haben Alejandro Monteverdes an sich nicht schlechten Film zu einem Symbol im ideologischen Kampf zwischen Links und Rechts gemacht, dessen bloßes Ansehen (oder Ignorieren) fast schon zu einem politischen Statement geworden ist.

USA 2023
Regie: Alejandro Monteverde
Buch: Rod Barr, Alejandro Monteverde
Darsteller: Jim Caviezel, Bill Camp, Gerard Taracena, Cristal Aparicio, Mira Sorvino, Eduardo Verástegui, Yessica Borroto Perryman, Javier Godino, Gustavo Sanchez Parra

Länge: 135 Minuten
Verleih: capelight pictures
Kinostart: 8. November 2023

FILMKRITIK:

Der Spezialagent Tim Ballard (Jim Caviezel) ist müde. Einmal mehr ist es ihm zwar gelungen, einen Online-Konsumenten von Kinderpornographie zu schnappen, doch das ist nicht mehr genug. Ballard will an die wirklichen Täter herankommen, will diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die Kinder entführen und missbrauchen und vor allem will er die Opfer befreien: Die Kinder.

Auf eigene Faust beginnt der vielfache Familienvater – dessen Frau (Mira Sorvino) zu Haus bleibt, um die Kinder zu hüten – in Kolumbien zu ermitteln und stößt in der Provinz Nariño bald auf Scorpio (Gerardo Taracena). Um in dessen abgelegenes Camp im Dschungel zu gelangen und dort festgehaltene Kinder zu befreien, gibt sich Ballard als Arzt aus – und riskiert Haut und Haar.

Grob, sehr grob basiert diese Geschichte auf wahren Ereignissen. Tim Ballard ist eine reale Person, die allerdings inzwischen mehr als umstritten erscheint und im Verdacht steht, Rettungsaktionen seiner Organisation Operation Underground Railroad (O.U.R.) in allzu rosigem Licht geschildert zu haben. (Inzwischen hat Ballard diese Organisation verlassen, nachdem Vorwürfe der sexuellen Belästigung von Mitarbeiterinnen vorgebracht wurden.) Dennoch ist Ballard ohne Frage jemand, der in einem Bereich agierte, der in der Öffentlichkeit nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt, wie er sollte. Denn Entführungen, gerade von Kindern, und anschließend Versklavung und im schlimmsten Fall auch sexuelle Ausbeutung sind ein reales und wachsendes Problem.

Warum ist „Sound of Freedom“ also so umstritten? Es liegt nicht daran, dass Ballards Geschichte für den Film geglättet wurde, dass Ballard im Film des mexikanischen Autors und Regisseurs Alejandro Monteverde heroischer erscheint, als er in Wirklichkeit wohl war. Als Monteverde den Film im Sommer 2018 drehte (das Drehbuch wurde dementsprechend noch früher verfasst) ging es ihm bloß darum, ein spannendes B-Picture mit ernstem Hintergrund zu drehen, was ihm auch gelungen ist.

Doch in den letzten Jahren hat sich die Polarisierung der politischen Lager in den USA noch verschärft, nicht nur, aber auch durch Donald Trump. Der hat immer wieder über angeblich zu lasche Strafverfolgung geklagt, hat kaum verhohlen gegen Lateinamerikaner gehetzt und den religiösen Rechten nach dem Mund geredet. Die sind nun das hauptsächliche Zielpublikum von „Sound of Freedom“, über Verleihstrukturen abseits des Hollywood-Mainstreams kam der Film ins Kino, wurde von der klassischen Tagespresse und auch den Branchenblättern zunächst ignoriert – und entwickelte sich dann zu einem finanziellen Erfolg, der größer war als der von „Indiana Jones 4“ oder „Mission Impossible 7.“

Was sicher auch an Hauptdarsteller Jim Caviezel liegt, der sich in den letzten Jahren zu einem Anhänger von kruden Verschwörungstheorien entwickelt hat, die etwa daran glauben, dass die politischen Eliten der USA, vor allem Vertreter der Demokraten, Kinder entführt, für satanische Riten missbraucht oder aus ihrem Angstschweiß die Chemikalie Adrenochrome destilliert, die geradezu magische Wirkung haben soll. Ein vollkommen bizarrer Mischmasch an Verschwörungstheorien, rassistischen bis antisemitischen Vorwürfen, gepaart mit einer diffusen Anklage an „die da oben“, die den Staat und seine Gesellschaft angeblich in ihrem Sinne umbauen wollen.

Von diesen Gefilden ist es nicht weit zu den deutschen Querdenkern, weswegen man gespannt sein darf, wie „Sound of Freedom“ in Deutschland angenommen werden wird. Grundsätzlich könnte man Alejandro Monteverdes Film, als akzeptablen, stilistisch erfreulich zurückhaltendes Drama bezeichnen, das in Momenten tatsächlich berührt. Allerdings ist es nicht mehr möglich diesen Film zu sehen, ohne auf die Vereinnahmung durch höchst fragwürdige Kreise einzugehen. Auch wenn dies vom Regisseur nicht intendiert war: „Sound of Freedom“ ist längst nicht mehr nur ein Film, sondern ein Symbol der ideologischen Zerrissenheit der USA.

 

Michael Meyns