Sparta

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Ewald ist gebürtiger Österreicher, der in Rumänien ein Jugendcamp für eine Gruppe von Jungs aus dysfunktionalen familiären Verhältnissen aufbaut. Er will die Kinder einerseits vor ihren eigenen toxischen Eltern schützen. Doch die Nähe der Jungen sucht Ewald noch aus einem anderen Grund. Ein Umstand, an dem er zu zerbrechen droht. Das brillant gespielte, herausfordernde und stellenweise gar erschütternde Drama „Sparta“ verdeutlicht zweierlei: Die Unmöglichkeit, dauerhaft gegen das eigene Verlangen anzukämpfen und die unerschütterliche Macht verdrängter Tatsachen.

Österreich, Frankreich, Deutschland 2022
Regie: Ulrich Seidl
Buch: Veronika Franz, Ulrich Seidl
Darsteller: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop,
Hans-Michael Rehberg, Marius Ignat

Länge: 89 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 18. Mai 2023

FILMKRITIK:

Ewald (Georg Friedrich) ist Mitte 50 und lebt seit vielen Jahren in Rumänien. Dort versucht er nun einen Neustart – in der abgeschiedenen, dörflichen Einöde. Mit Jungs aus der Umgebung hat er sich vorgenommen, ein in die Jahre gekommenes Schulgebäude umzubauen. Das Projekt, an dessen Ende eine Judoschule stehen soll, in der Ewald die Kinder betreuen möchte, sorgt unter den Jungs für eine ungewohnte Unbeschwertheit. Doch gleichzeitig zieht Ewald immer öfter die Sorgen und das Misstrauen der Eltern sowie anderen Dorfbewohner auf sich. Eine lange unterdrückte Wahrheit kommt unterdessen immer klarer zum Vorschein: Ewald ist pädophil.

Erst im letzten Jahr erschien Ulrich Seidls Drama „Rimini“ über einen abgehalfterten, seiner Vergangenheit hinterhertrauernden Ex-Schlagerstar Richie Bravo. Bravo ist Ewalds Bruder, der Hauptfigur von „Sparta“, und der demente Vater der Zwei tritt in beiden Filmen auf. Wenn Ewald den in einem Seniorenheim lebenden, im Siechtum befindlichen Vater besucht und seinem alten Herrn bruchstückhaft Nazi-Lieder ins Gedächtnis kommen, dann wird eine der Kernbotschaften von „Sparta“ deutlich: Die Vergangenheit holt einen immer wieder ein, sie ist Teil von uns.

Beim Vater sind es die traumatischen Kriegserlebnisse, bei Ewald ist es die sexuelle Neigung, die zurück an die Oberfläche kommt. Und eigentlich immer direkt unter dieser schwelt, das spürt man in fast jeder Szene, die Ewald mit Jungs und männlichen Jugendlichen zeigt. Es scheint, als wäge er jede Verhaltensweise, jede Annäherung sowie seine Gestik und Mimik exakt ab. Als beobachte er sich bei allen Handlungen selbst und als ob er diese einer andauernden Bewertung unterziehe. Bloß nichts Falsches oder Verdächtiges tun, bloß keine unzulässige Berührung und damit eine Grenzüberschreitung provozieren.

Noch offensichtlicher tritt Ewalds Verlangen im Umgang mit den rumänischen Jungs zu Tage, die er als antike römische Soldaten, ausgestattet mit Helm, Schwert und Plastikrüstung, aufmarschieren lässt. Er entwirft für sie in gewisser Weise eine Traumwelt. Das frühere Schulgebäude dient dabei als Festung mit Namen Sparta und die Jungs erhalten Namen von römischen Gottheiten und Helden. Der Ort soll, wie das antike Sparta, uneinnehmbar sein, und auch als Schutz vor den Eltern dienen, von denen einige ihren Kindern unter Alkoholeinfluss Gewalt antun. Zugang zum Gebäude erhalten nur er und die Kinder. Die Eltern müssen dem „Refugium“ fernbleiben. All diese metaphorischen Entsprechungen und begrifflichen Anspielungen wählt Seidl sehr treffend und lädt sie mit einer tieferen Bedeutung auf.

Obwohl Ewald insgeheim weiß: Er will den Kindern und Jugendlichen zwar Sicherheit bieten und sie von der elterlichen Armut fernhalten. Doch selbst stellt er womöglich eine noch viel größere Gefahr für die Jungs dar. Dieser für ihn unauflösliche Konflikt quält ihn dauerhaft. Und dieser Widersprich ist das Spannende und Besondere an „Sparta“.

Manche Szenen sind auch für den Zuschauer schwer auszuhalten, dazu zählen natürlich die Momente in denen sich zeigt, wie stark und vehement Ewald seine Begierde in Schach zu halten versucht. Nur um ihr doch immer stärker nachzugeben. Denn die Kräfte, die es braucht um die Sehnsüchte zu bekämpfen, schwinden mehr und mehr. Oder wenn er einmal im Auto einen emotionalen Zusammenbruch erleidet. Georg Friedrichs packende Performance ist dabei von rückhaltloser Intensität geprägt und er meistert seine ambivalente, komplexe Rolle mit traumwandlerischer Sicherheit. Seine Figur kämpft an mehreren Fronten. Als härtester und kraftraubendster Feldzug erweist sich jener gegen sich selbst.

 

Björn Schneider