Spencer

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Nein, ein biographischer Film über die ebenso legendäre wie umstrittene Lady Diana Spencer, aus deren Traum, Prinzessin zu werden, ein Albtraum wurde, ist „Spencer“ nur bedingt. Stattdessen inszeniert der chilenische Regisseur Pablo Larrain eine frei, wild und manchmal gewagt assoziierende Kollage, die mal einem Experimental- mal einem Horrorfilm ähnelt und von der grandiosen Kristen Stewart geerdet wird.

Website: https://dcmstories.com/de/news/kinostart-spencer/

Deutschland/ Chile/ Großbritannien 2021
Regie: Pablo Larrain
Buch: Steven Knight
Darsteller: Kristen Stewart, Sally Hawkins, Timothy Spall, Sean Harris, Jack Farthing, Jack Nielen, Freddie Spry, Stella Gonet
Länge: 111 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 13.1.2021

FILMKRITIK:

„Wo zum Teufel bin ich?“ fragt sich Diana Spencer (Kristen Stewart) gleich am Anfang von „Spencer“ als sie mit ihrem Porsche irgendwo in der britischen Pampa gestrandet ist und nach dem Weg nach Sandringham sucht. Dort, auf einem der vielen Herrenhäuser der britischen Krone, soll das Weihnachtsfest 1991 verbracht werden, ein im wahrsten Sinne des Wortes militärisch vorbereitetes Ereignis: In der ersten Szene waren Soldaten zu sehen, die im Marschschritt große Truhen in die Küche des Hauses schleppten. Doch darin befinden sich keine Waffen, sondern Delikatessen, die von einer Armada, sich militärisch präzise bewegenden Köche angerichtet werden. Die Symbolik ist ebenso wenig subtil wie Dianas erste Worte und in diesem Stil geht es weiter.

Autor Steven Knight – der schon für David Cronenbergs „Eastern Promises“ oder die TV-Serie „Peaky Blinders“ Bücher geschrieben hatte, die Subkulturen auf ebenso präzise wie exaltierte Weise sezierten – spielt mit der Realität, mit dem Wissen um Diana, ihrer Konflikte mit der Königsfamilie, ihrer seltsamen Ehe mit dem Thronfolger Prince Charles, und formt daraus eine „Fabel nach einer wahren Tragödie“ wie es zu Beginn heißt. In den drei Tagen des Weihnachtsfestes auf Sandringham wird Diana von der Königsfamilie ignoriert und gedemütigt werden, sie wird den Geist von Anne Boleyn sehen, einer der Gemahlin von Henry VIII, die von ihrem Gemahl wegen angeblichem Ehebruch geköpft wurde, sie wird manisch über die weiten Felder und Wälder des Herrenhauses rennen und am Ende ihre Freiheit finden.

Hat sich das so zugetragen? Mit Sicherheit nicht. War Diana, die Paparazzi zu ihren Zwecken benutzte und an Manipulation der Königsfamilie wohl kaum nachstand, eine ambivalentere Person, als hier zu sehen? Ohne Frage. Man muss „Spencer“ wohl als Phantasie sehen, als Möglichkeit, als Spiel mit Fakt und Fiktion, dem zwar eine reale Person zu Grunde liegt, das aber doch universelleres erzählen will.

Allein das mit Kristen Stewart eine Schauspielerin die Hauptrolle verkörpert, die selbst höchst unangenehme Erlebnisse mit der (Boulevard)-Presse hatte, die als Teenie weltberühmt wurde, deren Aufwachsen, deren Affären in aller Öffentlichkeit stattfanden, deutet an, worum es Larrain wohl geht. Schon in seinem Porträt der Kennedy-Witwe „Jackie“ hatte er vom Versuch einer berühmten Frau erzählt, die nach Autonomie und Selbstbestimmung verlangte. „Spencer“ ist nun der Mittelteil einer geplanten Trilogie, ein Film, der eine oppressive Welt schildert, die in ihren Ritualen erstarrt ist, aus der es lange kein Entkommen zu geben scheint.

Manchmal, wenn Diana durch die langen Gänge Sandringhams geht, die Kamera ihr fast schwerelos folgt, erinnert das an Kubricks „The Shining“, ein Film, in dem das Grauen ebenfalls aus dem Protagonisten selbst erwuchs. Wie eine Gefangene ihrer Selbst wirkt Diana oft, gefangen in Erwartungen, denen sie glaubt, gehorchen zu müssen, die sie jedoch einfach abschütteln könnte, würde sie es nur wagen.

Auch wenn sie eigentlich zu klein ist und Diana auch nicht wirklich ähnelt, gelingt es Kristen Stewart dennoch, eine perfekte Diana zu sein, zumindest wenn man sich vor Augen hält, dass in der Öffentlichkeit vermutlich nie die wahre Diana zu sehen war, sondern immer eine Frau, die eine Rolle spielte.

„Spencer“ ist alles andere als ein klassischer biographischer Film, sondern ein frei imaginiertes Spiel mit Fakt und Fiktion, eine Studie über eine Frau, die sich von den Umständen emanzipiert, eine impressionistische Kollage, unterlegt mit der einmal mehr außerordentlichen Musik von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood und gleichermaßen ein großer Schauspielerfilm wie ein klassischer Autorenfilm.

Michael Meyns