Srbenka

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Viele Jahre liegen das Auseinanderbrechen Jugoslawiens und die anschließenden Kriege nun schon zurück, doch immer wieder brechen die Wunden auf, kochen die Gemüter hoch, man denke nur an die Diskussion angesichts des Nobelpreis für Peter Handke. Auf dem Balkan selbst sieht das naturgemäß nicht anders aus, wie Nebojša Slijepčević in seiner vielschichtigen Dokumentation „Srbenka“ zeigt.

Website: https://riseandshine-cinema.de/portfolio/srbenka

Kroatien 2018
Dokumentation
Regie: Nebojša Slijepčević
Länge: 72 Minuten
Verleih: Rise and Shine Cinema
Kinostart: 29. Oktober 2020

FILMKRITIK:

Menschen, die eben noch friedlich nebeneinander gelebt hatten, die befreundet und oft auch verwandt waren, begannen sich fast von einem Tag auf den anderen zu hassen, führten Kriege, raubten, vergewaltigten, mordeten. So geschah es auf dem Balkan, nachdem der Vielvölkerstaat Jugoslawien auseinanderbrach, wobei die damalige deutsche Regierung eine durchaus problematische Rolle spielte.

Während in der internationalen Wahrnehmung die Frage nach der Schuld schnell geklärt schien, war die Situation vor Ort viel komplizierter. Während international und das zeigt sich etwa auch im Kino mit unschöner Regelmäßigkeit, praktisch ausschließlich die Serben für alles Übel verantwortlich gemacht wurden, sah die Realität in den Nachfolgestaaten Kroatien, Bosnien-Herzegovina oder später dem Kosovo anders, komplizierter, verworrener aus.

Zum Beispiel im Fall des zwölfjährigen serbischen Mädchens Alexandra Zec und ihrer Eltern, die 1991 in Zagreb, der Hauptstadt des gerade unabhängigen Kroatiens, brutal ermordet wurde. Die Täter waren zwar schnell gefunden, doch verurteilt wurden sie für dieses Verbrechen nie. Statt dessen nahmen sie teils hochrangige Positionen im kroatischen Militär ein, bzw. machten sich als Kriminelle einen „Namen“.

Diesen Fall, den in Kroatien jedes Kind kennt, nahm der Theaterregisseur Oliver Frljics zum Ausgangspunkt für ein Stück, das nicht nur in die Vergangenheit blickt, sondern vor allem auch auf die Gegenwart eines Landes, das sich zwar langsam der EU annähert, unter der Oberfläche aber noch von tiefen Ressentiments geprägt ist.
Besonders jene Kroaten, die serbischer Herkunft sind, verheimlichen ihre Identität oft, um sich nicht Repressionen, Beschimpfungen oder Schlimmeren auszusetzen. So eine serbische Kroatin ist auch die 12jährige Nina, eine von vier jungen Schauspielerinnen, die im Stück gleichzeitig in die Rolle der Alexandra schlüpfen, aber auch eine Variation ihrer selbst spielen.

Bei den Proben zum Stück, das seine Premiere schon 2014 erlebte, wird Frljics von Filmregisseur Nebojša Slijepčević beobachtet, der aus der Distanz zeigt, wie die Darsteller, mit dem Stück, ihren Erinnerungen an den Krieg und eigenen Diskriminierungserfahrungen kämpfen. Immer wieder provoziert Frljics extreme Emotionen, sucht unter der Oberfläche nach den Wunden, von denen er glaubt, dass sie die gesamte kroatische Gesellschaft durchziehen. Währenddessen wird vor dem Theater immer wieder gegen die Arbeit des liberalen Regisseurs protestiert, der sich schon oft von rechten Kreisen angegriffen sah. Auch vor der Premiere halten schweigende Männer eine Art Mahnwache ab, bei der sie fragen, wann endlich ein Stück inszeniert wird, das kroatische Opfer thematisiert.

Aus der Distanz beobachtet Slijepčević die Proben, entzieht sich klaren Positionen und deutet statt dessen an: Wie zerrissen die kroatische Gesellschaft auch Jahre nach dem Krieg noch ist, wie kompliziert das Geflecht an Vorwürfen, Verletzungen, Vorurteilen ist, und vor allem, dass die Wahrheit über den Zerfall Jugoslawiens und der daraus resultierenden Kriege deutlich komplizierter ist, als es in der Darstellung der westlichen Medien oft den Eindruck macht.

Michael Meyns