Stereo

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Nach seinem Rückzug aufs Land genießt der raue Motorrad-Mechaniker Erik (Jürgen Vogel) das Glück einer kleinen Familie. Bis mit Henry (Moritz Bleibtreu) eine Gestalt auftaucht, die nur er sehen kann. Zudem will ihn eine weitere zwielichtige Figur in die Halbwelt drängen. Regisseur Maximilian Erlenwein gelingt mit den klasse Hauptdarstellern Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu ein ausdrucksstarker Rache-Thriller, der gerade auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

Deutschland 2014
Regie: Maximilian Erlenwein
Darsteller: Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu, Petra Schmidt-Schaller, Georg Friedrich und Rainer Bock
Länge: 95 Min.
Verleih: Wild Bunch/Centra
Kinostart: 1.5.2014

FILMKRITIK:

An einer offenen und einsamen Landstraße liegt eine Motorrad-Werkstatt, die auch an einem amerikanischen Highway passen würde. Die ersten Einstellungen fangen Weite und Freiheit ein, bis ein sehr biederer und braver Polizist (Rainer Bock) den Motorrad-Raser Erik (Jürgen Vogel) ausbremst und ausgerechnet der Vater von dessen Geliebter Julia (Petra Schmidt-Schaller) ist. Klar, hier wird ein „Wild One“ für das bürgerliche Leben runtergedrosselt. Aber Erik ist glücklich mit dieser kleinen Familie, der sexy Julia und ihrer kleinen Tochter Linda, die den „Ober-Löwen“ direkt vergöttert. Wäre da nicht dieser Schatten der Vergangenheit in Form eines Kapuzenmannes, der immer näher kommt und sich als Eriks bester Feind Henry (Moritz Bleibtreu) herausstellt. Den kann allerdings nur der gezähmte Rocker sehen und hören.
 
Schon der Doppelauspuff von Eriks Maschine brüllt da zusammen mit dem Titel „Schizophrenie“. Doch wie Regisseur Maximilian Erlenwein dieses Mysterium in einem Action-Finale auflöst, ist großes Genre-Kino mit unerwarteter Besetzung. Denn weder ein Medium noch der „Zigeuner“, der Erik gut zu kennen scheint, klären die seltsame Erscheinung auf. Dabei soll der Mann mit den wilden Tattoos und dem Wunsch nach Familie im Kampf gegen den wahnsinnigen Bordellboss Keitel (Georg Friedrich) antreten...
 
Hier ist jemand Feuer und Flamme für Genre-Filme aus Hollywood. Will uns das der Molotov-Cocktail schon im Vorspann sagen? Maximilian Erlenweins „Stereo“ feiert Geschwindigkeit, klare und prägnante Bilder, Maskulines wie Motoren, Maschinenöl und Tattoos, unterstützt durch heftige Bassklänge. In seinem deutschen „Fight Club“, der am Ende heftig brutal wird, gibt Jürgen Vogel den braven Edward Norton und Bleibtreu Brad Pitts Tyler Durden. Oder vielleicht doch umgekehrt? Dabei punktet vor allem Vogel quasi in einer Doppelrolle als Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Gegen ihn in „Stereo“ ist selbst „Die Hard“ Bruce Willis ein Hampelmann. Moritz Bleibtreu macht in Parka und unter Kapuze viel mit expressiver Körperhaltung. Die bösen und ordinären Bemerkungen seiner gespenstigen Gestalt werden mit großer Treffsicherheit herausgeschleudert. Georg Friedrich, der mit Bleibtreu schon in der Kunstraub-Geschichte „Mein bester Feind“ spielte, komplettiert das starke Trio als verkrüppelter und bewährt wahnsinniger Gangster.
 
Die Auflösung wird deftig präsentiert, ein schmieriges Bordell namens Heaven gerät im Finale tief unter der Erde zur Hölle für alle Beteiligten. Dabei gibt es ein doppelt bis dreifach dickes Ende, doch schließlich geht es aus wie in dunkleren Kapiteln der Schwarzen Serie. Vereinfachungen sind beim Genre gängig und auch in diesem Rachefilm: Fahrendes Volk guckt reihenweise sehr bedrohlich, das Medium hat einen osteuropäischen Dialekt. Das kann man Maximilian Erlenwein vorwerfen, doch man sollte nicht sein Talent und die Leidenschaft für den Genrefilm unterschätzen. Robert Schwentke startete 2002 mit dem dreckigen, heftigen „Tattoo“, mittlerweile hat er vier große Hollywood-Produktionen inszeniert.
 
Günter H. Jekubzik