Sting

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Lange bevor der mörderische weiße Hai aus Steven Spielbergs gleichnamigem Leinwandklassiker sein Unwesen treiben konnte, hatten sich im Kino schon verschiedene Arten des Tierhorrors ausgebildet. Kultstatus erlangte etwa Jack Arnolds Spinnengrusler „Tarantula“ von 1955. Die Angst vor den achtbeinigen Krabbelwesen versuchten Filmemacher, immer wieder anzuzapfen, landeten dabei aber oft in den Untiefen des Trashs. Die absurde Prämisse seines Drehbuchs nicht verleugnend, begegnet der australische Regisseur Kiah Roache-Turner dem Motiv der Monsterspinne nun mit einer gehörigen Portion Augenzwinkern. „Sting“ wird Genrekenner sicher nicht das Fürchten lehren, bietet aber charmantes Old-School-Grauen mit einigen saftigen handgemachten Effekten.

Webseite: https://filme.studiocanal.de/movie/sting

Australien/USA 2024
Regie: Kiah Roache-Turner
Drehbuch: Kiah Roache-Turner
Darsteller: Alyla Browne, Ryan Corr, Penelope Mitchell, Jermaine Fowler, Noni Hazelhurst, Robyn Nevin, Danny Kim, Silvia Colloca u. a.

Länge: 92 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Studiocanal
Kinostart: 20. Juni 2024

FILMKRITIK:

Bezüge zu Ridley Scotts meisterhaftem Schocker „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (1979), auf den Roache-Turner mehrfach verweist, tun sich bereits zu Beginn der Geschichte auf: Die böse Spinne kommt dieses Mal nicht aus dem Labor, sondern geradewegs aus dem All, kracht, noch in ein Ei gehüllt, direkt in das New Yorker Apartmenthaus, das die 12-jährige Charlotte (Alyla Browne, in „Furiosa: A Mad Max Saga“ als junge Version der Titelheldin zu sehen) mit ihrer Mutter Heather (Penelope Mitchell), ihrem Stiefvater Ethan (Ryan Corr) und ihrem Babybrüderchen bewohnt.

Das comicbegeisterte Mädchen, das sich von den gestressten Eltern vernachlässigt fühlt, findet gleich Interesse an dem Tierchen, umsorgt es liebevoll und tauft es, in Anlehnung an ein Schwert aus dem Fantasy-Roman „Der kleine Hobbit“, auf den Namen Sting. Zunächst ist Charlotte fasziniert, wie schnell ihr neuer Freund an Größe gewinnt. Irgendwann jedoch dämmert ihr, dass Stings Appetit Bewohnern des Gebäudes zum Verhängnis wird.

Die anfängliche Bindung zwischen der jungen Protagonistin und dem Monster schreibt der Regisseur schon in der Inszenierung fest. Sehr früh sehen wir, wie Charlotte, einer Spinne gleich, durch die Lüftungsschächte ihres Wohnhauses krabbelt, also genau die Wege nimmt, die Sting später für blutige Ausflüge nutzen wird. Während die Eltern ihre Aufmerksamkeit entweder auf den kleinen Bruder richten oder mit ihren beruflichen Herausforderungen ringen, ist die 12-Jährige mit ihren Sorgen auf sich allein gestellt. Die Sehnsucht nach ihrem leiblichen Vater und das noch etwas ruckelige Verhältnis zu Ethan bilden die emotionale Grundlage des Films, der sich aufrichtiger als viele andere B-Movie-Horrorstreifen um die Zeichnung seiner wichtigsten Figuren bemüht. Große Originalität darf man freilich nicht erwarten. Berührend sind manche Auseinandersetzungen aber vor allem deshalb, weil Alyla Browne die etwas kratzbürstige und nerdige Charlotte mit einer unerwarteten Tiefe spielt. Ihr Frust ist stellenweise mit Händen zu greifen.

Die Nebencharaktere hingegen sind dramaturgische Erfüllungsgehilfen, werden auf bestimmte Eigenschaften reduziert. Jermaine Fowlers Kammerjäger Frank gibt den hibbeligen Sprücheklopfer. Nachbar Erik (Danny Kim) ist der obligatorische Sonderling mit spleenigem Hobby. Und Charlottes offenbar deutschstämmige Oma Helga (Noni Hazelhurst) verkommt mit ihrer Demenzerkrankung zu einer Art Running Gag. Platte Späße wie diesen gibt es einige. Daneben tauchen aber auch manche Pointen auf, die ein bisschen mehr Raffinesse besitzen.

Worauf die betont abstruse Handlung hinausläuft, lässt sich leicht erahnen. Dafür muss man wahrlich kein Drehbuchforscher sein. Der Weg zum zitatgespickten Finale hat jedoch seinen Reiz, weil Kiah Roache-Turner recht charmant atmosphärische Akzente setzt. Fast nie verlassen wir den zentralen Schauplatz, ein düsteres, denkbar siffiges und verwinkeltes Mehrfamilienhaus, das die von Brad Shield geführte, sich oft geisterhaft fortbewegende Kamera gerne aus einer leichten Untersicht erforscht. Auch wenn große Schreckmomente ausbleiben (zumindest bei all jenen, die keine Spinnenphobiker sind), macht sich hier und da ein Gefühl des Gefangenseins, der Ausweglosigkeit breit. Angesichts zahlreicher computergenerierter Gruselgestalten im aktuellen Horrorkino ist es außerdem ganz angenehm, dass „Sting“ mit vielen praktischen Effekten (verantwortlich: die berühmte Weta-Schmiede aus Neuseeland) aufwartet. Die achtbeinige Kreatur hat zwar keinen besonders großen Wiedererkennungswert, ist allerdings weitaus haptischer als irgendein Geschöpf aus dem PC.

 

Christopher Diekhaus