Mehr als eine Generation liegt die Einheit nun schon zurück, angesichts des immer noch viel zu oft nur holprigen Zusammenwachsen von Ost und West scheint die Zeit gekommen zu sein, sich ehrlich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das tut Gerd Kroske in seinem Dokumentarfilm „Stolz und Eigensinn“ mittels Archivmaterial, dem er aktuelle Interviews gegenüberstellt. Ein spannender Film, der Frauen zu Wort kommen lässt, die bislang nur selten gehört wurden.
Über den Film
Originaltitel
Stolz und Eigensinn
Deutscher Titel
Stolz und Eigensinn
Produktionsland
DEU
Filmdauer
113 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Kroske, Gerd
Verleih
Salzgeber & Co. Medien GmbH
Starttermin
09.10.2025
Blühende Landschaften versprach Helmut Kohl den Ostdeutschen, ein Versprechen, das realistischerweise nicht oder zumindest nicht so schnell wie erhofft zu erfüllen war. An einer Stelle von Gerd Kroskes Dokumentarfilm „Stolz und Eigensinn“ weißt eine ehemalige Fabrikangestellte mit einer Mischung aus Ironie und Sarkasmus darauf hin, dass sich diese Versprechen in gewisser Weise jedoch durchaus erfüllt hat: Auf den Geländen ehemaliger Fabriken und Werksanlagen, die durch die Reformen Pleite gingen und nun Brach liegen, hat sich die Natur die Orte zurückgeholt, wachsen nun Bäume, blühen Blumen.
Das hatte Kohl natürlich nicht gemeint, als er in der Euphorie über die Einheit seinen berühmten Satz sagte, doch die Realität konnte mit der Phantasie allzu oft nicht mithalten. Anfang der 90er jedoch schien vieles möglich, die Lust am Experiment, am Ausprobieren war groß. In Leipzig entstand damals der Piratensender Kanal X, der die neue Freiheit für ein anarchistisch angehauchtes TV-Programm nutzte, das längst Geschichte ist.
Auf verstaubten U-Matic Bändern (eine Variante der Videokassette) überlebte das Material des Senders jedoch und fiel vor einiger Zeit in die Hände des Filmemachers Gerd Kroske. Eine Möglichkeit wäre nun gewesen, aus dem verspielten Material einen wohl unweigerlich nostalgisch angehauchten Blick auf eine vergangene Zeit zu drehen. Kroske jedoch ging einen anderen Weg.
Auch wenn sein Film mit einigen witzigen Bildern beginnt, die das Chaos und die Energie andeuten, mit dem der Piratensender einst betrieben wurde, schleicht sich schnell ein ernster, um nicht zu sagen bitterer Ton ein. Denn Kroske hat etliche Frauen ausfindig gemacht, die Anfang der 90er interviewt wurden und konfrontiert die nun 30 Jahre älteren, inzwischen meist pensionierten Frauen mit ihrem früheren Ich.
Blicke in ein anderes Leben entstehen dadurch, die Konfrontation mit einer Zeit, die noch voller Hoffnung und Zuversicht war. Anfang der 90er war der Umbruch erst am Anfang, bestand noch die Hoffnung, dass DDR-Betriebe mit ein bisschen Umstrukturierung schnell wieder auf Vordermann gebracht werden konnten und es mehr oder weniger bruchlos auch im Kapitalismus weitergeht. Doch so kam es nicht, die Treuhand werkelte ab, Betriebe schlossen, Menschen wurden entlassen und mussten sich mehr oder weniger von jetzt auf gleich in einem System zurecht finden, von dessen Regeln und Funktionsweise sie verständlicherweise keine Ahnung hatten.
Manchen gelang das besser, vielen weniger gut. Einige der Frauen, die Gerd Kroske von einer Mitarbeit an dem Projekt überzeugen wollte sagten brüsk ab, zu groß war offenbar auch Jahrzehnte später die Enttäuschung über das was nach der Wende passierte. Diejenigen, die sich äußern, die Bilder von damals teils unmittelbar kommentieren, berichten hellsichtig über den Wandel. Dabei wird auch nicht der Osten verklärt, nicht so getan, als wäre es für Frauen selbstverständlich und unproblematisch gewesen, in traditionellen „Männerberufen“ Karriere zu machen.
Das Durchsetzungsvermögen, das manche der Frauen schon in der DDR entwickeln mussten, wird ihnen später im vereinten Deutschland geholfen haben, sich gegen alle Widerstände und Schwierigkeit einen Platz im Leben zu erarbeiten. Der Stolz über ihre eigenen Lebensleistungen, der in den Berichten der Frauen zu hören ist, spricht für sich und macht Gerd Kroskes Film auch zu einem wichtigen historischen Dokument, das einen Aspekt der gesamtdeutschen Geschichte vor dem Vergessen bewahrt.
Michael Meyns