Styx

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Eine erfahrene Notärztin will im Urlaub von Gibraltar zur Insel Ascension im Südatlantik segeln. Alles geht gut, sogar einen Sturm übersteht sie unbeschadet. Doch plötzlich liegt ein manövrierunfähiger Fischkutter, beladen mit über hundert Flüchtlingen vom afrikanischen Festland, neben ihr. Wie kann sie helfen? Beeindruckendes, in seiner Konsequenz auch beklemmendes Drama, das die aktuelle Flüchtlingskrise auf einen moralischen Konflikt herunterbricht, für den es keine Lösung gibt. Aber: Nicht zu helfen, ist keine Option. Das ist die ebenso einfache wie einleuchtende Essenz des Films. Stark in der Hauptrolle: Susanne Wolff.

Webseite: www.programmkino.de

Deutschland/Österreich 2018
Regie: Wolfgang Fischer
Darsteller: Susanne Wolff, Gedion Oduor Wekesa, Alexander Beyer, Inga Birkenfeld, Anika Menger
Länge: 94 Min.
Verleih: Zorro
Kinostart: 13.9.2018
 

FILMKRITIK:

Rike (Susanne Wolff), Anfang 40, ist Notärztin, und sie beherrscht ihr Handwerk. Gleich in der zweiten Szene sehen wir, wie auf einer nächtlichen Kreuzung zwei Raser einen Autofahrer schneiden und der in ein parkendes Auto kracht. Polizei und Feuerwehr eilen heran, und dann tut Rike das Richtige: mit dem Verletzten sprechen, ihn hinlegen, die Luftzufuhr sichern, den Kreislauf stabilisieren. Schon in der nächsten Szene ist sie auf Gibraltar und belädt ihr Segelboot mit allem, was sie für eine mehrwöchige Reise braucht. Ihr Ziel: die Insel Ascension im Südatlantik, auch bekannt als Himmelfahrtinsel. Darwin hat hier einen künstlichen Dschungel angelegt, und diese Mischung aus Planung und Chaos ist es wohl, die Rike reizt.

Im Folgenden blickt ihr die Kamera genau zu: Segel setzen, steuern, navigieren, Funksprüche beantworten, sogar einen nächtlichen Sturm übersteht sie unbeschadet. Bei Rike stimmt jeder Handgriff, stets weiß sie, was zu tun ist. Doch plötzlich entdeckt sie, nur 150 Meter neben ihrem Segelboot, einen manövrierunfähigen Fischkutter, beladen mit über hundert Flüchtlingen vom afrikanischen Festland. Rike versucht, per Funk Hilfe herbeizurufen. Gleichzeitig wirkt ihr Boot auf die Flüchtlinge wie ein Magnet, der Rettung zu verheißen scheint: Sie springen ins Wasser. Ihr Boot ist aber zu klein, ihre Vorräte sind zu gering. Wie kann Rike helfen?

Was für ein Gegensatz: Auf der einen Seite die deutsche Frau in ihrem schnittigen, Wohlstand signalisierenden Segelboot, auf der anderen Seite erschöpfte Flüchtlinge auf einem sinkenden Seelenverkäufer – das ist schon eine starke Allegorie, die Regisseur Wolfgang Fischer, geboren 1970 in Wien, für seinen Film gefunden hat. In Zeiten, in denen rechtspopulistische Rattenfänger mit bangemachenden Parolen die Angst vor allem Fremden schüren und konservative Minister von Obergrenzen und Ankerzentren faseln, bricht „Styx“, jener mythische Fluss in der Unterwelt, bei dem die Götter ihre Eide schworen, die Flüchtlingsproblematik auf einen moralischen Konflikt herunter, für den es keine Lösung gibt.

Zum einen erhält Rike überhaupt keine Hilfe, weder von den Behörden noch von vorbeifahrenden Frachtschiffen, zum anderen ist ihr von der Küstenwache das Einschreiten sogar verboten worden, weil sie mit ihren beschränkten Mitteln nicht helfen kann. Doch Rike ist schon zu nah am Geschehen, ein 14-jähriger Bub ist zu ihr herüber geschwommen und verstärkt den Konflikt noch. Nicht zu helfen, ist keine Option. Das ist die ebenso einfache wie einleuchtende Essenz des Films. Fischer zeigt das ohne Pathos, nichts wirkt aufgesetzt oder übertrieben. Die Dinge sind so, wie sie sind. Fast hat man den Eindruck, als nehme der Regisseur die Position des distanzierten Beobachters ein. Die Kamera sieht Rike geduldig zu, bei der Arbeit, beim Segeln, und lässt den Dingen ihre Zeit, so dass eine unterschwellige Spannung entsteht. Susanne Wolff verkörpert perfekt die tüchtige, erfolgreiche, aber auch bewusst lebende Frau, die für alles eine Lösung hat. Bis sie an ihre Grenze kommt.

Michael Ranze