Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen

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Max will sterben. Der dänische Versicherungsvertreter hat einen unheilbaren Gehirntumor, und als er eines Tages bei der Aufklärung eines Versicherungsfalles auf das mysteriöse „Hotel Aurora“ stößt, in der Lebensmüde beim Sterben begleitet werden, bucht er dort ein Zimmer. Im Wellness-Hotel des Todes kommen ihm dann Zweifel, aber aus dem Aurora kehrt niemand zurück. Wie schon in „WHEN ANIMALS DREAM“ (2014) inszeniert das Trio Jonas Alexander Arnby (Regie), Niels Thastum (Kamera) und Mikkel Hess (Musik) auch hier einen eleganten, verstörenden Genremix auf der Grenze zwischen Drama und Horror.

Webseite: dcmworld.com/portfolio/suicide-tourist-es-gibt-kein-entkommen/

Originaltitel: Selvmordsturisten
Internationaler Titel: Suicide Tourist
Dänemark 2020
Regie: Jonas Alexander Arnby
Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Tuva Novotny, Kate Ashfield, Robert Aramayo
Verleih: DCM
Länge 90 Min.
Start: 02. Juli 2020

FILMKRITIK:

Jonas Alexander Arnby (Regie), Niels Thastum (Kamera) und Mikkel Hess (Musik) haben 2014 schon einmal einen Film gemeinsam gedreht: den atmosphärisch dicht erzählten „When Animals Dream“ über ein junges Mädchen in einem kleinen Fischerdorf, das seltsame Veränderungen durchmacht. Maries Metamorphose zum Werwolf war dabei in einer alltäglichen Welt angesiedelt, der Film ebenso Metapher fürs Erwachsenwerden wie Horrormärchen.

Auch der neue Film des Trios beginnt in einer Alltagswelt, die wir mindestens aus zahllosen Filmdramen kennen. In einer bürgerlichen Stadtwelt aus Blau- und Grautönen leben Max (Nikolaj Coster-Waldau) und Laerke (Tuva Novotny). Er hat Geburtstag und sie schenkt ihm einen Luxusurlaub. Alles soll wieder gut werden, so, wie es mal war. Max jedoch reagiert kaum. Später am Tag erfährt er von seiner Ärztin, dass der Gehirntumor erneut gewachsen ist. Er ist inoperabel und sie rät ihm, alles, was er unbedingt noch erledigen möchte, bald zu tun, bevor die Aussetzer, Gedächtnislücken und Sprachverluste zunehmen. Beim Abendessen versucht Max, Laerke von den Neuigkeiten zu erzählen und scheitert. Als Laerke am nächsten Morgen aufwacht, ist Max weg.

Arnby erzählt von Max‘ Gefühlszustand als einer Art Trance. Wie betäubt absolviert Max seinen Alltag. Die App, die ihn seine an Sprachübungen erinnert, und die Rückblenden an den Beginn seiner Krankheit und an die missglückten Selbstmordversuche, scheinen präsenter als Laerke, die im Hintergrund versucht, einen Alltag zu beschwören, den es längst nicht mehr gibt. Aus den Fenstern dringt diffus graues Licht in Max‘ düstere Realität, in der er auf eigenen Wegen unterwegs ist, von denen Laerke nichts weiß. Über einen Versicherungsfall, den er betreut hat, hat er von dem Resorthotel „Aurora“ erfahren, in dem Lebensmüde beim Sterben begleitet werden. Dort hat er sich nun eingeliefert.

Das Aurora ist ein moderner Wellness-Traum hoch in den norwegischen Bergen. Direkt an Max‘ Fenster fließt ein reißender Bach entlang. Die Wände sind aus hippem Sichtbeton mit Holzoptik, die Musik sphärisch, die Beleuchtung gedimmt und in der Sauna gibt es Opium-Tee. Die Hausanzüge allerdings erinnern mit ihren Streifen an Gefängniskleidung. Nach einigen Tagen beginnt Max, Misstöne in den sanft geführten Betreuungsgesprächen zu hören, in denen die Gäste auf ihren Tod vorbereitet werden. Am Rande der Wahrnehmung werden für kurze Momente Abgründe sichtbar. Aber für Zweifel ist er spät dran – aus dem Aurora kehrt niemand zurück.

Die Verwandlung des Krebsdramas in einen dystopischen Sci-Fi kommt ganz fließend. Es gibt kein Vorher und Nachher, keinen Bruch, nur eine feine psychedelische Verschiebung von einer alptraumhaften Realität hin zu einem sehr naturalistisch inszenierten Wahn. Wo das eine aufhört und das andere anfängt, ob der Wahn überhaupt Realität ist oder die Realität immer schon Wahn war, wird immer unklarer. „Suicide Tourist“ ist ungeheuer elegant und mit großem Ernst in Szene gesetzt. Wie schon bei „When Animals Dream“ verschmelzen auch hier der Spaß an einer Genreerzählung und ein echtes Interesse am Ausloten extremer Bewusstseinszustände. Und nicht zuletzt ist „Suicide Tourist“ eine fiese, kluge, stylische Antwort auf die in letzter Zeit so sehr beliebte Filmfantasie vom schönen Sterben.

Hendrike Bake