Summer Wars

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Das preisgekrönte Anime-Spektakel gleicht moderne mit uralten Netzwerken ab. Die schöne neue Digital-Kultur trifft hier auf eine traditionelle Großfamilie, die im Kampf gegen eine entfesselte Künstliche Intelligenz ihre Streitereien beilegen muss, um die Welt zu retten. Für Manga-Unkundige und Comic-Abstinenzler dürfte dies – auch dank der üppig gesäten Untertitel - der reinste Overkill sein. Andere erfreuen sich an einem familienkompatiblen Zeitgeistdrama in übermütigen Bildphantasien.

Webseite: www.summerwars.de

Zeichentrick
Japan 2009
Regie: Mamoru Hosoda
Buch: Satoko Okudera
Verleih: AV Visionen Filmverleih
L: 114 Min, OmU
Start: 12. August 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Die Handlungen japanischer Anime-Filme wählen häufig verschlungene Pfade. In den kulleräugigen Gestalten spiegeln sich plötzlich düstere Abgründe, Niedliches wird unheimlich, nichts ist wie es scheint und der Schein hat unzählige Farben und Formen. In „Summer Wars“ steigert sich die Verwirrung noch durch die vielen Nebenschauplätze, die die zwei Haupterzählebenen umschwirren.

Für den anstehenden 90sten Geburtstag ihrer Urgroßmutter präsentiert die 18-jährige Natsuki ihren ahnungslosen Mitschüler Kenji, ein 17-jähriges Mathematik-Wunderkind, als ihren Zukünftigen. Er soll angeblich in Tokio studieren, wie sie aus einer alten Familie kommen und gerade ein Jahr in Amerika verbracht haben. Natsukis Charme, ihre Idealvorstellungen und ihre 27-köpfige Großfamilie in einem großen Landhaus in den Bergen bei Nagano verwirren den schmächtigen Computer-Nerd Kenji, der kaum mehr reale Begegnungen kennt, sehr. So sehr, dass er in der Nacht gedankenverloren eine anonyme Rätsel-SMS löst und so den 2056-stelligen Sicherheitscode zu der virtuellen Stadt „OZ“ knackt.

In dem Internet-Paradies OZ vergnügen sich über 400 Millionen Menschen als Avatare. Dank des gelösten Codes kann nun eine verselbständigte Künstliche Intelligenz mit Namen „Love Machine“ - ein aus Verknüpfungen von Informationen und Millionen virtueller „Freunde“ aufgeblähtes Monstrum - über die Accounts der OZ-Mitglieder, zu denen auch Firmen, Verwaltung und Militär gehören, auf die reale Welt zugreifen. Navigationsgeräte, Verkehrs- und Versorgungssysteme kommen zum Erliegen. Ein ferngesteuerter Satellit droht auf ein Atomkraftwerk zu fallen. Kenji, Natsuki und die Großfamilie schicken ihre Avatare in den Kampf gegen „Love Machine“, deren Erfinder sich bald in den eigenen familären Reihen finden soll. Die Schlacht in und um OZ beginnt, während die resolute Uroma ihre alten Postkartenbekanntschaften abtelefoniert und eine „richtige“ Kommunikation von Auge zu Auge verlangt.

Die verschiedenen Lebenswelten erhalten kunstvolle Entsprechungen: die Familienszenerien in den Landschaftsidyllen erinnern an die des Comic-Künstlers Jiro Taniguchi (dessen Bilderroman „Vertraute Fremde“ gerade real verfilmt wurde). Die kindlichen Figuren der virtuellen Stadt OZ lehnen sich stark an die zweidimensionalen „Superflats“ des kommerziell erfolgreichen Malers Takeshi Murakami an. Seine Blumengesichter mit dem leerem Lächeln vor kalkweißem Hintergrund bevölkern gemeinsam mit Tamagotchi-Figuren, bleichen Puppen, zähnefletschenden Superhelden eine kalte, wilde Spielhölle.

Anders als sein berühmter Kollege Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“) verwendet Regisseur Mamoru Hosoda („Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“) nicht eine einheitliche magische Bildsprache. Er experimentiert sarkastisch, rotzfrech und poetisch, schafft unruhige Brüche, mixt Computerspiel und Manga. Es ist nicht einfach, die vielen explosiv-aggressiven Figuren auseinanderzuhalten. Permanente helle Untertitel und das Springen zwischen den Erzählebenen erschweren es, beim ersten Zuschauen alles zu erfassen, der Film mit der Schnelligkeit eines Videospiels eignet sich möglicherweise besser für DVD, seine spielerische Kritik zielt ja auf alle Nerds, die ungern ihren Computer allein lassen. Dreimal wurde „Summer Wars“ als bester Animationsfilm ausgezeichnet: auf dem Internationalen Filmfestival in Sitges, von den japanischen Mainiche Film Awards und von der Japanese Academy.

Dorothee Tackmann