Suspiria

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Das hoch gehandelte Remake des gleichnamigen Filmklassikers von Dario Argento aus 1977 ist ein veritabler feministischer Horrorfilm mit exquisiter Besetzung: Tilda Swinton, Dakota Johnson und eine Garde der europäischen Arthouse-Stars, mit Angela Winkler und Ingrid Caven als heimische Vertreterinnen. In magischen Bildern inszeniert Luca Guadagnino die Umtriebe in einem West- Berliner Tanzensemble aus der Sicht eines neuen Mitglieds. Für Horrorfans vielleicht etwas zu wenig Horror, für Otto Normalcineast vielleicht doch ein bisschen zu unappetitlich. Doch da der Film insgesamt sehr kunstvoll und beinahe kühl wirkt, wird die Gefühlsebene kaum angesprochen. Hier geht es mehr um Bilder, um die kritische Betrachtung des Geschlechterkampfes und um deutsche Befindlichkeiten.

Webseite: www.capelight.de/suspiria

Italien 2018
Regie: Luca Guadagnino
Drehbuch: Dario Argento, Daria Nicolodi, David Kajganich
Darsteller: Chloë Grace Moretz, Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Renée Soutendijk, Jessica Harper, Sylvie Testud, Angela Winkler, Malgorzata Bela, Ingrid Caven, Lutz Ebersdorf, Vanda Capriolo, Toby Ashraf, Fabrizia Sacchi, Elena Fokina
Länge: 118 Minuten
Verleih: capelight pictures/Koch Films
Kinostart: 15. November 2018

FILMKRITIK:

Als die junge Susie aus dem fernen Ohio nach West-Berlin kommt, um dem weltberühmten Tanzensemble von Madame Markos beizutreten, ahnt sie nicht, dass sie bald in die Geheimnisse und Rituale eines Hexenzirkels verstrickt wird. Zunächst freut sie sich darüber, dass sie vortanzen darf, obwohl sie keine Tanzausbildung hat. Doch ihr improvisierter Vortrag findet das Gefallen der strengen Tanzchefin Madame Blanc (Tilda Swinton), die ihr verspricht, sie besonders zu fördern. Susie wird aufgenommen. Das gesamte Haus, dessen Geschichte bis in die Nazizeit zurückreicht, hat offensichtlich ein Geheimnis und scheint ein merkwürdiges Eigenleben zu führen, die älteren Damen des Ensembles bilden eine undurchdringliche Einheit, keine von ihnen scheint ein Privatleben zu haben. Die jungen Tänzerinnen bewohnen die oberen Räume, und natürlich wird in diesem internatsartigen Umfeld viel geredet: Gerüchte laufen um, und dazu gehört auch die Story, dass gerade ein Mädchen verschwunden ist. Susie freundet sich mit der jungen Sara an und gewöhnt sich schnell an das von Tanz und Disziplin erfüllte Leben im Haus, sie hat die Aussicht, in der nächsten Produktion eine Hauptrolle zu übernehmen, und arbeitet hart daran. Immer unter Anleitung von Madame Blanc, deren besondere Aufmerksamkeit und Zuneigung sie offenbar genießt. Doch nach dem Zusammenbruch einer Tänzerin fühlen sich einige Elevinnen zunehmend bedroht. Sara ist neugierig und nimmt Kontakt zu dem Psychiater Josef Klemperer auf, der das verschwundene Mädchen behandelt hat. Klemperer kommt als Zuschauer zur nächsten Aufführung, bei der ihm immer mehr Seltsamkeiten auffallen. Sara, die mittlerweile einige Geheimnisse des Hauses entdeckt hat, tanzt bei der Premiere trotz eines Beinbruchs perfekt ihre Rolle. Und Susie ist auf dem besten Wege, nicht nur als Tanzelevin, sondern auch als Hexe Karriere zu machen. Sie soll in den Hexenzirkel aufgenommen werden.
 
Luca Guadagnino schmückt sein feministisches Horrorspektakel mit viel Zeitkolorit. Das Drehbuch von David Kajganicht (nach dem Originaldrehbuch von Dario Argento und Daria Nicolodi) siedelt den Film im selben Jahr an, als SUSPIRIA I ins Kino kam: 1977. Nun also West-Berlin. Dieses Berlin ist eine düstere, verregnete Stadt, die von den Meldungen über die Entführung der „Landshut“ beherrscht wird. Die Spuren der Vergangenheit und die deutsche Teilung sind deutlich sichtbar, so steht das majestätische Gebäude der Tanzakademie direkt an der Mauer. Josef Klemperer (ebenfalls gespielt von Tilda Swinton!) ist offenbar ein Opfer des Nationalsozialismus, seine Frau wurde verschleppt und ermordet, was bei ihm zu einem Trauma führte, das die Hexen im späteren Verlauf des Films für ihre Zwecke nutzen. Tilda Swinton beherrscht die Bühne sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne – ihre schwer fallenden, extrem geschmackvoll strengen Gewänder betonen eine beinahe unnatürliche Schlankheit. Sie bleibt elegant, geheimnisvoll, leicht unterkühlt – der Inbegriff einer disziplinierten Tänzerin und ein ideales Vorbild für ihre Elevinnen. Sie führt den Kreis der humorlosen Hexendamen an, die einem merkwürdigen Kult huldigen. Dieser weibliche Cast neben den Tänzerinnen ist eine einzige Hymne an die Schauspielerinnen, deren klangvolle Namen das europäische Kino seit den 70er Jahren begleiten, von Sylvie Testud über Renée Soutendijk bis zu Jessica Harper. Herausragend spielt Angela Winkler die Hausdame Frau Tanner, die für Ordnung sorgt.
 
In magischen Bildern gestaltet Sayombhu Mukdeeprom die Tanzszenen, von denen es nicht allzu viele gibt, sicherlich zu wenige für Tanzfans. Das moderne Tanztheater der Kompanie von Madame Markos zeigt sehr viel Kraft und Energie, losgelassene Bewegungen und entfesselte Weiblichkeit. Besonders eine Szene prägt sich dabei ein, in der sich eleganter Tanz und Grausamkeit auf schreckliche Weise verbinden. Hier geht es offenbar auch um die unmittelbare körperliche Wirkung des Tanzes, der hier oft, wie auch einige andere symbolhafte Elemente, synonym für Frausein und Mutterschaft zu stehen scheint. Immer wieder gibt es dazu Verweise auf ein faschistoides Gedankengut, das von Madame Blanc, ihren Gefährtinnen und Schülerinnen auch außerhalb der Tanzszenen verkörpert wird. Hier verwischen sich Geschichtskritik und Verehrung in einer Form, die bisweilen schwer nachvollziehbar ist. Der homoerotische Touch bleibt durchgängig, wird allerdings kaum ausgelebt – er liegt unterschwellig über dieser Frauengesellschaft, die sich nur sehr gelegentlich mit Männern beschäftigt.
 
Einige Szenen sind durchaus blutig und lassen an Deutlichkeit kaum etwas zu wünschen übrig. Da liegen auch ein paar Gedärme herum, und es wird gekreischt, gebrüllt und geseufzt – SUSPIRIA heißt so viel wie „Seufzer“. Die Effekte sind allerdings eher artifiziell als naturalistisch, dennoch vermutlich für sensible Gemüter schwer erträglich. Insgesamt bietet der Film einprägsame Bilder und damit viel Stoff für eine Diskussion über Schönheit und Kunst. Das allein wäre schon ausreichend gewesen. Dass Luca Guadagnino zusätzlich viele weitere Aspekte ins Spiel bringt, macht den langen Film insgesamt vielleicht noch facettenreicher, aber kaum gehaltvoller.
 
Gaby Sikorski