Takva – Gottesfurcht

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Eigentlich ist „Takva – Gottesfurcht“ eine kleine, stille Geschichte über einen demütigen Diener des Herrn in einem islamischen Orden. Doch die Konflikte, in die der fromme Mann gerät, weisen über das Einzelschicksal hinaus und machen die erstarrten Dogmen des Islam als eigentliches Problem sichtbar. Regisseur Özer Kiziltan verfährt dabei weder plump anklagend noch überheblich. Und das ist die Stärke des Films, weil er nicht Ablehnung oder Zustimmung provoziert, sondern eine Diskussion ermöglicht. Dieses Konzept geht auf. In der Türkei wurde „Takva“ zum Kassenerfolg. Auf der Berlinale 2007 wurde er mit dem Preis der Internationalen Filmkritik ausgezeichnet.

Webseite: rif-film.com

Deutschland/Türkei 2006
Regie: Özer Kiziltan
Buch: Önder Cakar
Darsteller: Erkan Can, Meray Ülgen, Müfit Aytekin
Länge: 96 Minuten
Verleih: Rif Film
Kinostart: 15. November 2007

PRESSESTIMMEN:

Der beeindruckende Erstlingsfilm verdichtet sich zum in der Hauptrolle überzeugend gespielten Drama, das den Gewissenskonflikt eines religiösen Menschen in den Mittelpunkt stellt und mutig die Verbindung von religiösem Fundamentalismus mit zynischer Geschäftemacherei anprangert.
film-dienst

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FILMKRITIK:

Die Welt islamischer Orden ist abgeschirmt. Außenstehende bekommen allenfalls folkloristische Aspekte mit, etwa Derwische, die sich in Trance tanzen. In dieser Welt lebt Muharrem - und auch er wiegt im gemeinschaftlichen Gebet den Oberkörper vor und zurück, um eins zu werden mit Gott und das eigene Denken zu überwinden. Das ist der Sinn der Übung und andere Regeln als die strengen Glaubensvorschriften kennt der 40-jährige Gehilfe eines Kaufmanns in Istanbul nicht. Sie geben seinem Leben Halt und Richtung, auch wenn die Gottesfurcht und die Angst, eine Sünde zu begehen, eine so schwere Bürde sind, dass er immer gebückt geht und sich stets sofort von Kopf bis Fuß wäscht, wenn ihn mal wieder nachts seine feuchten Träume übermannen.

Seine Frömmigkeit fällt dem Scheich, dem Führer des Ordens, auf, der ihn für eine heikle Aufgabe auswählt. Muharrem soll die Mieten in den Besitztümern des Ordens einkassieren. Dank seiner Loyalität ist er für den Job geeignet, doch weder intellektuell noch emotional kommt er damit zurecht, was er jenseits der Klostermauern sieht, ob das nun Schaufensterpuppen mit Damenwäsche sind oder in Not geratene Mieter, die ihm kein Geld geben können.

Die Gefahren des Islam werden in waffenstarrenden Radikalen gesehen, die ihre Heilslehre gegen die Ungläubigen durchsetzen wollen. Doch in „Takva“ begegnet man einem anderen Typus des Fundamentalisten – eines Fundamentalisten wider Willen sozusagen. Muharrem ist ein einfacher Muslim, der alles richtig machen will, aber mit seinem verinnerlichten System an religiösen Regeln in der Welt nicht klarkommt.

Özer Kiziltan bezeichnet den Islam als eine Religion, die „sich bislang jeglichen Reformen und Neuerungen verweigert“ und damit keine Antworten auf die Fragen habe, die die moderne Gesellschaft aufwirft. Die Tragödie wird nicht durch individuelles Fehlverhalten heraufbeschworen – der Scheich ist nicht bösartig, die Glaubensbrüder sind nicht radikalisiert -, sondern entsteht durch einen Systemfehler.

Der Regisseur geht in der Entwicklung der Geschichte so geschickt vor, dass der Zuschauer eher versteht als verurteilt. Der Orden ist kein Ort des Grauens, sondern ein soziales Gefüge, das Geborgenheit und spirituelle Heimat bietet – also durchaus attraktiv ist. Nur realitätstüchtig ist es eben nicht, was Erkan Can in der Rolle Muharrems als beeindruckende Leidensfigur mit Verve durchexerziert.
 

Volker Mazassek  

 
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Ein Dorf oder Stadtrandviertel in der Türkei. Dort lebt Muharrem. Er arbeitet in einem kleinen Handelsbetrieb. Wichtiger als die Arbeit ist ihm aber sein Glaube. Mehrmals am Tag geht er zum Gebet in die Moschee, streng hält er sich an die Zeremonien des dort ansässigen orthodoxen muslimischen Ordens.

Muharrem lebt, wenn auch äußerst ärmlich, so arbeitsam, korrekt und gottesfürchtig, dass der oberste Scheich des Ordens, vor dem alle unterwürfig kriechen, ihm eine Aufgabe überträgt. Er soll in der Stadt die Mieteinnahmen aus den Firmen und Häusern des Ordens kassieren. Natürlich trifft er dabei auch auf Leute, die nicht zahlen können. Muharrem ist fromm-barmherzig, versucht Beträge zu stunden, will den Menschen helfen.

Doch er stößt dabei beim Scheich und dessen Anhängern auf wenig Gegenliebe. Nicht nur pseudo-religiöse Strenge, sondern auch materielle Härte blitzen da durch. Nicht nur Frömmigkeit, sondern auch Sünde. Nicht nur Gebet, sondern auch Gottesmissachtung.

Wie überall prallen hier, im Islam wie im Christentum, im Judentum wie im Buddhismus, im Hinduismus wie im Schintoismus, Religion und Gottlosigkeit, Ideal und Realität, fromme Ansätze und heuchlerisches Gegenteil aufeinander.

Linear und schlicht, aber nicht ohne einen zum Nachdenken anregenden Eindruck zu hinterlassen, ist das gestaltet. Für am Thema Interessierte durchaus brauchbares Anschauungsmaterial. 

Thomas Engel