Tangerine L. A.

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In der Subkultur des Transgender-Straßenstrichs in L.A. spielt diese aufregende Transen-Screwball-Komödie. Die Trans-Prostituierte Sin-Dee kommt nach kurzem Knast-Aufenthalt am Heiligabend in L.A. wieder frei.  Von ihrer Kollegin und besten Freundin Alexandra muss sie erfahren, dass ihr Freund und Zuhälter Chester in ihrer Abwesenheit mit einer biologischen Frau eine Affäre angefangen hat. Sin-Dee kennt nur noch einen Gedanken: das Mädchen aufspüren und Chester zur Rede stellen. Authentisch, mit Laien aus der afroamerikanischen Trans-Gender-Szene gedreht, versprüht die Low-Budget-Komödie einen rauen, vitalen Charme und strotz nur so von wilder, chaotischer Komik.

Webseite: www.tangerine-la.de

USA 2015
Regie: Sean Baker
Darsteller: Kitana Kiki Rodriguez, Mya Taylo,  James Ransone, Karren Karagulian
Länge: 87 Min
Verleih: Kool Filmdistribution
Start: 7.7.2016

FILMKRITIK:

Es ist Heiligabend in L.A. , als sich für die afroamerikanischen Transgender-Prostituierte Sin-Dee Rella (Kitana Kiki Rodriguez) die Gefängnistore öffnen. Allerdings hat sich Sin-Dee den ersten Tag in Freiheit anders vorgestellt. Ihr Freund und Zuhälter Chester lässt sich nicht blicken und so muss sie ganz alleine den Weg ins Donut-Time zurücklegen. Der Laden liegt  an der Kreuzung Santa Monica Blvd und Highland Ave, mitten in der illegalen Szene des Trans-Gender-Straßenstrichs. Dort trifft sie ihre Kollegin und beste Freundin Alexandra (Mya Taylor), die ihr ein unschönes Geheimnis über Chester verrät. Ihr Lover hat sie in den wenigen Wochen von Sin-Dees Gefängnisaufenthalt mit einer „echten Frau“ betrogen. Für Sin-Dee Grund genug, mit dem Furor und Dynamik einer wahren Drama-Queen auf Rachefeldzug zu gehen.

Während die Betrogene brachial und bitchy in den schäbigen Bars und Bordellen der Konkurrentin nachjagt, bereitet sich Alexandra auf ihren Auftritt am Abend vor. Um im dem Club live zu singen, muss sie sich allerdings zuerst einmal auf der Straße das nötige Startgeld verdienen. Hier kommt Ramzik (Karren Karagulian) ins Spiel, ein armenischer Taxifahrer, der zu Alexandras Stammkunden zählt und auch am Heiligabend ihre Dienste in Anspruch nimmt, während daheim die Familie unterm geschmückten Baum auf den „Herrn im Haus“ wartet.

Regisseur Sean Baker („Starlet“) filmte die schräge Story an Originalschauplätzen und u.a. mit den Trans-Genderfrauen Kitana Kiki Rodriguez und Mya Taylor, die neben eigenen Erlebnissen auch ihren rauen Straßenslang miteinbringen. Gedreht wurde im Guerillastil mit iPhone-5-Geräten, deren Kameras freilich mit Hightech-Linsen aufgerüstet wurden. Das Resultat sind körnig-saturierte Bilder, die in der Postproduktion aufgepeppt und mit pulsierendem Sound unterlegt, ein fiebrige Intensität ausstrahlen. In das rastlose, chaotische Geschehen mischt Sean Backer immer wieder ruhige Zwischentöne. Wenn Alexandra im nahezu leeren Saal ihren Song mit großer Inbrunst singt, hat der Film einen seiner herzzerreißenden Höhepunkte. Ein zärtlich-fragiler Moment der Ruhe vor dem Sturm, der umso grotesker und greller ausbricht, als sich die ganze Schar zum wahnwitzigen Showdown im Donuts-Laden versammelt. Hier werden in fünf schrillen und komischen Minuten mal eben die unterschiedlichsten Formen und Spielarten der Liebe miteinander verhandelt.

Ein temporeiches ungeschöntes Tohuwabohu, das an die urbane Vitalität von Martin Scorsese „Hexenkessel“ erinnert, aber auch einem frühen Rainer Werner Fassbinder ähnelt, wenn es darum geht, Subkultur sehr persönlich, menschlich und vorurteillos als pralles Kinoerlebnis zu präsentieren.

Norbert Raffelsiefen