„Fuck the Pain Away“ hieß vor über 20 Jahren der erste und größte Hit der kanadischen Sängerin Peaches, deren Erfolg in Berlin begann, zu einer Zeit, als die Stadt als Hort der Freiheit galt, wo alles möglich war. Vieles hat sich seitdem geändert, nicht zuletzt der Zeitgeist, wie Philipp Fussenegger und Judy Landkammer mit dem Dokumentarfilm „Teaches of Peaches“ trotz eines konventionellen Ansatzes auf sehenswerte Weise zeigen.
Deutschland 2024
Regie: Philipp Fussenegger und Judy Landkammer
Buch: Cordula Kablitz-Post, Schyda Vasseghi
Dokumentarfilm
Länge: 102 Minuten
Verleih: Farbfilm
Kinostart: 9. Mai 2024
FILMKRITIK:
Gerne und oft wird das Berlin der 90er Jahre beschworen, als in Folge des Mauerfalls die halbe Stadt zu einem Spielplatz für Hedonisten und Exzentriker, Avantgardisten und Narzissten wurde, sich in brachen und verfallenden Häusern Räume auftaten, die für Kunst, Musik, Sex und alles dazwischen genutzt werden konnten.
Mitten drin war Merrill Beth Nisker, eine 1966 im kanadischen Toronto geborene Frau polnisch-ukrainischer Herkunft, die den Künstlernamen Peaches trug, inspiriert von Nina Simones Song „Four women.“ Zusammen mit ihrem Landsmann Chilly Gonzales war sie dabei, den Berliner Underground aufzumischen, wo man zu diesem Zeitpunkt mit extremen Performances, nackter Haut und ausgiebigem Gebrauch von Four-Letter-Words noch provozieren konnte.
2002 erschien die erweiterte Fassung des Albums „The Teaches of Peaches“, auf dem sich der Song befand, der Peaches zu einem erstaunlichen internationalen Erfolg verhalf: „Fuck the Pain Away“, ein von harten elektronischen Beats unterlegtes Fanal der Selbstbestimmung und Selbstermächtigung. Lange bevor der gesellschaftliche Mainstream begann, über Geschlechterrollen zu diskutieren, Binarität, Diversität, Queer zunehmend selbstverständlich wurde, lebten Peaches und ihre Mitstreiter diese Formeln aus und ebneten den Weg für vieles, was ihnen folgen sollte.
Inzwischen ist Peaches Mitte 50, was an ihren Auftritten jedoch kaum etwas geändert hat. Während der Jubiläumstour zum Erfolgsalbum, die Peaches 2022 durch die Welt führte, begleiteten die Filmemacher Philipp Fussenegger und Judy Landkammer die Musikerin, führten Interviews mit Freunden und Bewunderern und hatten vor allem auch Zugriff auf ausführliches Archivmaterial.
In bekannter und bewährter, halb dokumentarischer, halb nostalgischer Manier werden Gegenwart und Vergangenheit zusammengeschnitten, wechseln aktuelle Tourbilder mit historischem Material ab, das zeigt, wie alles begann: In winzigen Clubs wirbelt Peaches über die Bühne, mal bekleidet, mal weniger, mal mit einem Umschnalldildo, mal mit Liebeskugeln, aber immer voller Energie.
Wenn sie das auch als Mitfünfzigerin tut, die zwar keine Großmutter ist, es aber sein könnte, mag man das als seltsam empfinden, als unangemessen, aber warum? Längst hat die Gesellschaft einen Zustand erreicht, in dem alles möglich ist, in dem es keine Tabus zu brechen gibt, in dem es kaum noch möglich erscheint, mit Sex und Nacktheit zu provozieren. Der Zeitgeist hat zu Peaches aufgeschlossen, einerseits. Ob die Gesellschaft allerdings tatsächlich so offen und liberal ist, wie es auf den ersten Blick wirkt, ist eine Frage, die auch Peaches in einem nachdenklichen Moment aufwirft. Doch für solche weiterführenden Gedanken bleibt wenig Raum, „Teaches of Peaches“ beschränkt sich darauf, klassischer Porträtfilm zu sein, der sein Subjekt wohlwollend begleitet und beschreibt und somit vor allem für Fans von Peaches willkommener Anlass ist, in nostalgischen Erinnerungen zu schwelgen.
Michael Meyns