The Art of Love

Zum Vergrößern klicken

Isolation, Einsamkeit, ein von Schein und Oberflächlichkeit geprägtes Zusammenleben und die Allmacht der Sex-Industrie, moderner Technologien sowie künstlicher Intelligenz: All diese Themen und Inhalte behandelt die nur auf den ersten Blick simple und einfach gestrickte romantische Satire „The Art of Love“. Tatsächlich handelt es sich um eine tiefgehende und gesellschaftskritische Betrachtung zweier außergewöhnlicher und gequälter Seelen, die sich nach Liebe und Zusammengehörigkeit sehnen.

Schweiz, Großbritannien 2022
Regie: Philippe Weibel
Buch: Philippe Weibel
Darsteller: Alexandra Gilbreath, Oliver Walker, Jeremy Swift, Michelle
Greenidge, Kenneth Collard, Jasmine Blackborrow

Länge: 107 Minuten
Verleih: Film Kino Text
Kinostart: 13. Juli 2023

FILMKRITIK:

Die Mittfünfzigerin Eva (Alexandra Gilbreath) steckt in einer Ehekrise. Ablenkung und einen attraktiven Verdienst verschafft ihr ein „pikanter“ Nebenjob: Eva schreibt Rezensionen über Sex Toys und Dildos der Londoner Firma „The Art of Love“. Adam (Oliver Walker), Mitte 30, arbeitet ebenso für das Unternehmen. Als Testperson prüft er die neuesten Produkte und Entwicklungen von „The Art of Love“ ausgiebig. Daneben arbeitet er erfolgreich als Social-Media-Influencer. Als die Beidem von ihrem Chef für ein aktuelles Projekt verpflichtet werden, sind sie alles andere als voneinander begeistert. Damit die Zusammenarbeit jedoch funktioniert und die Zwei die hohen Erwartungen ihres Chefs erfüllen können, müssen sie sich zusammenreißen.

Intelligente Vibratoren, elektronische Liebeskugeln, auf die Vorlieben der Nutzer zugeschnittene Sex-Apps – Die Sex-Tech- und -Toys-Industrie boomt seit Jahren, nicht zuletzt „dank“ Corona. Seit der Krise konnten manche Hersteller ihren Umsatz um mehrere 100 Prozent steigern – die Industrie macht(e) sich die Einsamkeit der Menschen zunutze und profitiert finanziell enorm davon. Auf satirische, schwarzhumorige Weise widmet sich der Schweizer Regisseur Philippe Weibel diesem Aspekt.

Dafür kreiert er zwei spannende Hauptfiguren, um die er seine ebenso skurrile wie hintersinnige Story strickt. Hinsichtlich ihres Alters, ihrer individuellen Charakter-eigenschaften und der Lebenssituation liegen Adam und Eva (die Wahl der Namen und damit die Anspielung auf das erste menschliche Paar dürfte kein Zufall sein) meilenweit voneinander entfernt. Auf der einen Seite die unbedarfte, schüchterne Eva (ausdrucksstark: Alexandra Gilbreath), deren Alltag eintönig verläuft und deren Ehe mit ihrem mussmutigen Mann längst nur noch etablierten, gängigen (Alltags-) Mustern folgt. Und andererseits der von sich selbst überzeugte Macho und hochmütige Womanizer Adam. Er lebt in seiner anonymen Social-Media-Blase und schenkt seinen Followern sowie digitalen Fans mehr Beachtung als wahrhaftigen zwischenmenschlichen Beziehungen.

Der genaue Beobachter und aufmerksame Zuschauer aber merkt schon bald: Es sind die eigene Unsicherheit, Selbstzweifel und die Angst vor dem dauerhaften Alleinsein, die die beiden Hauptcharaktere umtreiben. Vor allem Adam. In subtilen Verweisen, klugen Dialogen und genauen Beobachtungen zeigen sich diese Sorgen der Protagonisten deutlich. Obendrauf gibt’s von Weibel eine deftige Kritik an den sozialen Medien mit all ihren negativen Folgen.

Durchsetzt sind Drehbuch und Story mit humorvoll-heiteren Hirngespinsten und vergnüglichen, unorthodoxen Einfällen, die vor allem die eingangs erwähnte Porno- und Sex-Industrie genüsslich aufs Korn nehmen. Ein Highlight ist der Besuch von Eva und Adam in der „The Art of Love“-Fabrik, in der sie auf geniale Wissenschaftler und mit weißen Kitteln bekleidete Mitarbeiter treffen, die an neuesten Erfindungen arbeiten und – ausgestattet mit Bunsenbrenner und Laborinstrumentarium – modernste Prototypen entwickeln. Darunter der technologisch fortschrittliche KI-Sex-Roboter, den die Zwei ausgiebig testen müssen. Eine passende Anspielung auf die Dominanz von Deep Learning und artifizieller Intelligenz, die alle Lebensbereiche durchziehen.

Nicht uneingeschränkt funktioniert der Einsatz einiger konventioneller Erzählmotive und erwartbarer Nebenhandlungen, von denen ein paar nicht zu Ende gedacht und weiterverfolgt werden. Dazu zählt eine sich ankündigende Beziehung zwischen Adam und seiner attraktiven Nachbarin. Dieser Nebenplot ist oberflächlich und folgt gängigen Abläufen. Am Ende steht zwar eine ebenso erwartbare, aber durch und durch grundsympathische, wahre Quintessenz: Echte Freundschaft kann auch zwischen den unterschiedlichsten Menschen entstehen. Und sie ist elementarer als jeder noch so belanglose, austauschbare digitale Kontakt.

 

Björn Schneider