In einer Zukunft, in der konventionelle Fortpflanzung verboten ist, braucht es ein siebentägiges Bewerbungsgespräch – das „Assessment“ des englischen Titels – um zu entscheiden, ob ein Paar die Genehmigung zur Fortpflanzung erhält. Das ist der Ansatz des dystopischen Films von Fleur Fortuné, der es mit markantem Stil und starken Darstellern lange Zeit vermeidet, seine Ausgangsfragen auch zu beantworten.
GB/D/USA 2024
Regie: Fleur Fortuné
Buch: Mrs. & Mr. Thomas, John Donnelly
Darsteller: Alicia Vikander, Elizabeth Olsen, Himesh Patel, Minnie Driver, Indira Varma, Nicholas Pinnock, Charlotte Ritchie
Länge: 114 Minuten
Verleih: Capelight/ Central
Kinostart: 3. April 2025
FILMKRITIK:
Ein einsames Haus in einer Geröllwüste, in der Nähe ein Gewächshaus. Das ist die Welt, in der Mia (Elizabeth Olsen) und Aaryan (Himesh Patel) leben. Während sie aus den Algen des nahen Meeres die Nahrung produziert, die in dieser postapokalyptischen Welt zur Verfügung steht, experimentiert er mit künstlichen Wesen: In einem fast komplett schwarzen Raum versucht Aaryan etwa die Textur von Haut und Haaren eines Affen zu perfektionieren.
Denn richtige Tiere gibt es nicht mehr, wie in einem Nebensatz deutlich wird: Die Nahrungsmittel waren knapp geworden, die Menschheit hatte sich entscheiden müssen. Eben deswegen ist auch die ungezügelte Fortpflanzung auf herkömmlichem Weg untersagt und wird von einer nicht näher benannten, aber doch offenbar mehr als mächtigen Instanz kontrolliert.
Wer wie Mia und Aaryan ein konstruktives Mitglied der Gesellschaft ist, darf jedoch den Antrag stellen, ein Kind zu bekommen. Doch bevor es soweit ist muss eine siebentägige Prüfung überstanden werden. Zu diesem Zweck quartiert sich bald Virginia (Alicia Vikander) im Haus ein und beginnt mit dem Test. Auf die Frage, warum man denn unbedingt ein Kind haben möchte, auch wenn die Ressourcen in dieser nicht so wirklich schönen, neuen Welt begrenzt sind, finden Mia und Aaryan noch halbwegs überzeugende Antworten. Doch bald artet der Test aus, agiert Virginia wie ein renitentes Kleinkind, das am Küchentisch mit Essen um sich schmeißt, dann aber auch als verführerische Nymphe, die Aaryan vor eine schwere Gewissensprüfung stellt.
Eine clevere Idee zu haben ist eine Sache, aus einer Idee auch einen runden Film zu machen, dessen Ende überzeugt aber eine ganz andere. Das Konzept und das Setting von „The Assessment“ erfüllen alle Anforderungen an einen originellen Film mit Leichtigkeit. In den kargen Weiten der Kanaren wurden die Außenaufnahmen gedreht, während das markante, von grellen Farben und markantem Design geprägte Innere des Hauses der Familie im Studio in Köln stand. Trotz der eingeschränkten Sets beweist die bislang nur für einige Musikvideos und Kurzfilme bekannte Regisseurin Fleur Fontané großes visuelles Gespür und steigert die Irritation der Grundkonstellation unaufhörlich.
Mit Elizabeth Olsen und Himesh Patel, vor allem aber Alicia Vikander hat sie auch ein überzeugendes Darsteller-Trio zur Verfügung, das sämtlich Wendungen der zunehmend seltsamen Testreihe mit großer Ernsthaftigkeit mitgeht und ihre Figuren weit über jedes akzeptable, würdige Verhalten hinausgehen lässt.
In was für einer Welt all das stattfindet wird dabei nur in Nebensätzen angedeutet. Offenbar wurde die Welt in eine neue und eine alte eingeteilt, wobei die neue zwar bessere Versorgung ermöglicht, aber auch ein unfreies Leben. Eine spannende, komplexe Welt scheint es da draußen zu geben, was die eigentliche Handlung des Films – ob der Babywunsch erfüllt wird oder nicht – dann doch etwas nichtig erscheinen lässt. Vielleicht deswegen öffnet „The Assessment“ in den letzten zehn Minuten dann doch den Blick, geht ins Außen, reißt philosophische Fragen an, die viel interessanter wirken, als vieles was vorher zu sehen war. So lebt der Film lange Zeit von seinem originellen Konzept, findet aber erst am Ende zu der inhaltlichen Komplexität, die starke dystopische Filme ausmachen.
Michael Meyns