The Bikeriders

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Röhrende Motoren, pomadisiertes Haar, Lederjacken, Bienenstockfrisuren und sehr viele Zigaretten: Jeff Nichols „The Bikeriders“ wirkt im ersten Moment wie eine nostalgische Hommage an die Bikerkultur der späten 60er Jahre – entwickelt sich dann aber zu einem etwas idealisierten Abgesang auf eine Ära, deren Ideale durch die gesellschaftlichen Entwicklungen der USA zerstört wurde.

USA 2023
Regie: Jeff Nichols
Buch: Jeff Nichols, inspiriert von der Fotoreportage von Danny Lyon
Darsteller: Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Mike Faist, Michael Shannon, Norman Reedus, Boyd Holbrook,

Länge: 120 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 20. Juni 2024

FILMKRITIK:

„Ihr müsstet mich töten, damit ich meine Farben ausziehe“ ist der erste Satz, den der grundsätzlich eher wortkarge Benny (Austin Butler) von sich gibt, bevor ihn zwei Typen in einer Bar bewusstlos schlagen, weil er die flaschen Fraben, also die falsche Jacke trägt und dann auch noch auf brutale Weise seinen Fuß brechen. Was für Benny der absolute Horror ist, denn ohne Fuß könnte er nicht mehr Motorradfahren und nichts liebt er mehr. Auch nicht seine Frau Kathy (Jodie Comer), die Benny Mitte der 60er Jahre in den Außenbezirken von Chicago kennenlernt und binnen kürzester Zeit unweigerlich seinen Augen und der unfassbaren Haartolle erliegt, mit der Austin Butler schon als Elvis überzeugte.

Aus der Rückblende berichtet Kathy dem Fotojournalisten Danny Lyon (Mike Faist) über ihre Erfahrungen als Anhängsel der Vandals Chicago, einem Motorradclub, der von Johnny (Tom Hardy) gegründet wurde. Wild, ungezähmt und ungewaschen wirken die Biker auf ihren fetten Maschinen, wie Symbole der Freiheit, die Amerika immer versprochen, aber meist nicht eingehalten hat.

Anfangs verbringen die Mitglieder ihre Zeit vor allem mit rumhängen und Biertrinken, doch die meisten Mitgliedern sind ganz normale Arbeiter, haben Familie und betreiben das Motorradfahren als Hobby. Im Laufe der Jahre wird sich das jedoch ändern, der Club nimmt neue Mitglieder auf, die andere Werte haben, die vom Vietnamkrieg geprägt sind, für die Brutalität nicht mehr nur eine Notlösung, sondern Lebensinhalt darstellt.

Im Film heißt der Club Vandals, in der Realität war er als Outlaws Motorcycle Club bekannt – und zunehmend berüchtigt. Inzwischen der nach den Hells Angels und den Bandidos drittgrößte Motorradclub der Welt, entwickelten sich auch die Outlaws zunehmend von einem friedlichen Hobbyclub zu einer kriminellen Vereinigung, die in Drogenhandel und Prostitution verstrickt sind und nun Thema von „The Bikeriders“ sind.

Schon oft hat sich der selbst aus dem mittleren Westen stammende Jeff Nichols als genauer Chronist seiner Heimat erwiesen, ob im Bürgerrechtsdrama „Loving“ oder dem Endzeitfilm „Take Shelter.“ So überrascht es nicht, wie authentisch „The Bikeriders“ wirkt, mit wie viel Liebe zum Detail Nichols den Alltag von auf den ersten Blick nicht alltäglichen Menschen schildert, die zwar am Rande der Gesellschaft stehen, mit ihrem Drang nach Freiheit aber doch das verkörpern, für das Amerika – zumindest in seiner Idealversion – steht.

Ob nun die Entwicklung des Motorradclubs tatsächlich so eindeutig die gesellschaftlichen Veränderungen, die Amerika in den späten 60er und frühen 70er Jahre durchlebte spiegelt, mag man hinterfragen. Ein wenig zu idealisiert mutet es an, wie die ursprünglichen Mitglieder der Vandals, die nur zum Vergnügen Motorradfahren und an sich friedlich sind, von kiffenden Vietnamveteranen verdrängt werden, deren Interessen mehr zu Drogen und Vergewaltigung tendieren. Als Abgesang auf eine Ära hat Nichols „The Bikeriders“ offensichtlich intendiert, als Verlust der Ideale der 60er Jahre, die durch die Kennedy-Brüder und Martin Luther King, die Bürgerrechtsbewegung und Woodstock symbolisiert wurden. Sie wurden durch Nixon und  Watergate, Vietnam und das Desaster von Altamont verdrängt, dem Musikfestival bei dem ein Mitglied der Hells Angels während eines Konzert der Rolling Stone einen Mann töteten.

Den Zeitraum von 1965 bis 1973 beschreibt „The Bikeriders“, in Momenten fast dokumentarisch, oft stilisiert, manchmal auch verklärt. Ob die 60er Jahre tatsächlich so idealistisch betrachtet werden sollten, wie es auch Nichols hier tut, darf man fragen, für die zwei Stunden seines Films lässt man sich jedoch gerne mitreißen und würde danach gerne selbst auf eine schwere Maschine steigen, in die Ferne fahren und den Wind im Haar spüren.

 

Michael Meyns