The Black Phone

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Retro ist in, im Fernsehen, aber auch im Kino, nicht zuletzt im Horror-Thriller-Genre. Zuletzt verwies „X“ auf die 70er Jahre, nun zieht Scott Dericksons „The Black Phone“ nach, der 1978 spielt, aussieht wie ein Film aus den späten 70ern und Handlungsmotive variiert, die dem frühen Stephen King gefallen hätten. Das Ergebnis ist ein harter, teilweise auch unangenehmer Thriller, der bisweilen unrund erzählt ist, aber mit einem starken Finale aufwarten kann.

USA 2021
Regie: Scott Derrickson
Buch: Scott Derrickson & Robert Cargill, nach der Kurzgeschichte von Joe Hill
Darsteller: Mason Thames, Madeleine McGraw, Jeremy Davies, James Ransone, Ethan Hawke

Länge: 104 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 23. Juni 2022

FILMKRITIK:

Gerade startete die 4. Staffel der Netflix-Erfolgsserie „Stranger Things“, die einer der Auslöser einer 80er Jahre-Retrowelle war, die seit Jahren rollt und zum Wiederaufleben alter Stoffe führt. Kaum eine bekannte und beliebte Filmserie aus den 80ern, die noch nicht wiederbelebt wurde, kaum ein 80er Jahre-Hit, der es nicht wieder in die Charts geschafft hat und da die 80er Jahre langsam wohl abgegrast sind, sind inzwischen auch die 70er Jahre dran.

Die besonders im Horror-Thriller-Genre besonders fruchtbar waren – und besonders hart. Bevor es selbstreflexiv und humoristisch wurde, war der Horror hart und brutal, war das Grauen nicht ironisch gebrochen, sondern real und äußerst unangenehm. Erst vor ein paar Wochen blickte Ti West in „X“ auf die gute alte, vom Klassiker „Texas Chainsaw Massacre“ inspirierte Welt des 70er Jahre Horrors zurück, David Gordon Green dreht gerade ein „Exorzist“-Remake und Scott Derrickson legt nun mit „The Black Phone“ einen Film vor, der ein bisschen Meta ist, vor allem aber versucht, den beinharten Horror der 70er Jahre wiederzubeleben.

Als Vorlage diente eine Kurzgeschichte von Joe Hill, die einem der Klassiker der Horror-Science-Fiction Literatur Reverenz erweist: Jack Finney. Dessen Nachname war Vorbild für die Hauptfigur von „The Black Phone“, den Teenager Finney Shaw (Mason Thames), der im Denver des Jahres 1978 lebt, zwar ein guter Sportler ist, in seiner Schule dennoch von den Bullies verfolgt wird. Doch das ist nicht das größte Drama des Vorortes, denn seit einiger Zeit verschwinden Kinder, von einem nur The Grabber (Der Greifer) (Ethan Hawke) genannten Mann entführt. Bald ist – natürlich – auch Finney an der Reihe und landet in einem Kellerverlies in dem eine versiffte Matratze andeutet, welche Schrecken auf ihn warten. Ein anderer Gegenstand befindet sich allerdings auch noch in dem Raum, das titelgebende schwarze Telefon, das an sich nicht funktioniert. Und das dennoch regelmäßig klingelt. Am anderen Ende der Leitung: Die vorigen Opfer, die Finney Tipps geben, wie er sich aus der Gefangenschaft befreien könnte.

Doch das ist nicht das einzige übernatürliche Element der Geschichte. Finneys kleine Schwester Gwen (Madeleine McGraw) hat Träume, Träume, die sie in die Zukunft blicken lassen. Offenbar war auch ihre Mutter mit dieser Fähigkeit gesegnet bzw. geschlagen und brachte sich einst um, was den Vater (Jeremy Davies) zu einem einsamen, versoffenen und brutalen Mann hat werden lassen.

Zwischen phantastischen, übernatürlichen Elementen, die nie erklärt werden, und einem brutalen Realismus, bei dem Kinder mit dem Gürtel verprügelt werden und sich Schüler wegen der geringsten Anlässe blutig schlagen changiert der Ton von Scott Derricksons Film. Wo viele Horror-Thriller von Anfang an eine irreale Atmosphäre evozieren und dadurch ermöglichen, sich emotional von ihnen zu distanzieren, mutet „The Black Phone“ oft unangenehm real an. In verblichenen Farben gefilmt, in einer durchschnittlichen Vorort-Siedlung, die allzu bekannt wirkt, evoziert Derrickson das Grauen der Normalität. Erst zum Ende hin entwickelt sich die Geschichte in Gefilde, die es ermöglichen, sich von ihr zu distanzieren und den Sieg über das Böse zu genießen. Doch bis dahin ist „The Black Phone“ fast unangenehm realistisch und ist weit entfernt vom überdrehten Eskapismus, den Horror-Thriller oft benutzen, um Brutalität unwirklich wirken zu lassen.

 

Michael Meyns