The Boogeyman

Ungefähr seit dem Erfolg des ersten Kapitels der zweiteiligen Romanadaption „Es“ von 2017 kann man in Film und Fernsehen mit Fug und Recht von einem neuen Stephen-King-Boom sprechen. Zahlreiche Stoffe des im Horrorgenre beheimateten Vielschreibers wurden in den letzten Jahren neu aufbereitet, darunter auch seine „Shining“-Fortsetzung „Doctor Sleep“. Unter der Regie des 1992 geborenen Briten Rob Savage („Host“) entstand nach einigem Hin und Her eine Leinwandversion von Kings bereits 1973 veröffentlichter Kurzgeschichte „The Boogeyman“. Ursprünglich sollte der Film nur im Streaming-Angebot erscheinen. Nach positiven Testvorführungen entschied man sich jedoch, dem Streifen einen Kinostart zu spendieren.

Regie: Rob Savage
Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods und Mark Heyman nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von Stephen King
Darsteller: Sophie Thatcher, Chris Messina, Vivien Lyra Blair, Marin Ireland, David Dastmalchian, Madison Hu, Maddie Nichols u. a.

Länge: 99 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Walt Disney Germany
Kinostart: 01.06.2023

 

Über den Film

Originaltitel

The Boogeyman

Deutscher Titel

The Boogeyman

Produktionsland

USA

Filmdauer

98 min

Produktionsjahr

2023

Produzent

Lewy, Shawn/Cohen, Dan/Levine, Dan

Regisseur

Savage, Rob

Verleih

Starttermin

31.05.2023

 

FILMKRITIK:


Trauer, Verlust, die Unfähigkeit, über Schmerz zu sprechen, können, das zeigt schon ein flüchtiger Blick in die Geschichte des Horrorgenres, ungemein wirkmächtige Triebfedern für eine unheimliche Erzählung sein. Nicholas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, Peter Medaks „Das Grauen“, Fabrice Du Welz‘ „Vinyan“, Jennifer Kents „Der Babadook“ und Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ sind nur einige Filmbeispiele, die das Thema Tod mit einer aufwühlenden Ernsthaftigkeit verhandeln und gerade deshalb tief ins Mark treffen. Auch „The Boogeyman“ will sich in diese Tradition einordnen und nutzt Kings literarische Vorlage – das wird Kennern des Textes schnell auffallen – in erster Linie als Sprungbrett für zahlreiche neue Ideen.

Die räumliche Begrenzung der Kurzgeschichte bricht das Drehbuch, das Scott Beck und Bryan Woods, die Autoren des Überraschungshits „A Quiet Place“, zusammen mit Mark Heyman („Black Swan“) verfasste haben, merklich auf. Hinzu kommen außerdem neue Figuren und neue Hintergründe. Dreh- und Angelpunkt des Films ist die Teenagerin Sadie Harper (Sophie Thatcher), die einige Monate nach dem Unfalltod ihrer Mutter langsam wieder versucht, in den Schulalltag einzusteigen. Weil sie ein Kleid der Verstorbenen trägt, wird sie allerdings von einigen Klassenkameradinnen blöd angemacht und sucht im Anschluss aufgelöst das Weite.

Als Sadies Vater Will (Chris Messina), ein Therapeut, zu Hause einen sichtlich verängstigten Mann (David Dastmalchian) empfängt, nehmen schreckliche Ereignisse ihren Lauf: Lester Billings, so der Name des unangekündigten Gastes, berichtet von den mysteriösen Umständen, unter denen seine Kinder gestorben seien, und bringt eine finstere, sich von menschlichem Leid ernährende Präsenz in das Leben der Harpers. Sadie und ihre kleine Schwester Sawyer (Vivien Lyra Blair) fühlen sich in den eigenen vier Wänden schon bald von der im Schatten lauernden Kreatur bedroht.

„The Boogeyman“, darauf hebt schon eine unheilvolle Bemerkung Lesters ab, möchte von mangelnder familiärer Kommunikation, einem fehlenden Miteinander im Angesicht des Schmerzes erzählen. Obwohl Will beruflich Menschen mit psychischen Problemen betreut, ist er ausgerechnet für seine beiden Töchter nicht wirklich da, als sie seine Unterstützung am dringendsten benötigen. Statt mit ihnen die schwere Phase nach dem Tod der Ehefrau und Mutter gemeinsam zu bewältigen, zieht er sich zurück und bekommt gar nicht mit, welche Ängste und Sorgen die Mädchen nach dem Auftauchen Lesters durchmachen. Immer mal wieder verschwindet Will für einige Zeit von der Bildfläche, scheint geradezu verschluckt zu werden von seinem Haus. Das Gebäude, das fast immer in schummriges Licht getaucht ist, wirkt größer, als es eigentlich sein dürfte. Manchmal hat man fast den Eindruck, die Figuren befänden sich an gänzlich unterschiedlichen Orten, was Savage bewusst so arrangiert, um die Isolation, die emotionale Distanz zu unterstreichen.

Überhaupt bemüht sich der Regisseur in Zusammenarbeit mit Kameramann Eli Born um eine markant-abwechslungsreiche Inszenierung. Gelegentlich stehen die Bilder auf dem Kopf. Ein langsamer 360-Grad-Schwenk durch ein Kinderzimmer sorgt gleich zu Anfang für Nervenkitzel. Und mehrfach setzen die Macher gekonnt ungewöhnliche Lichtquellen ein, mit denen Sadie und Sawyer einen Blick auf das titelgebende, Helligkeit verabscheuende Monster erhaschen wollen.

Trotz gelungener optischer Ideen will die bleiern-bedrückende Atmosphäre im Haus der Harpers jedoch nicht vollends verfangen. Rund eine halbe Stunde lang baut „The Boogeyman“ überlegt Anspannung auf, hat danach aber Probleme, den richtigen Rhythmus zu finden. Mal passiert wenig, steht der Aspekt der Trauer im Vordergrund. Dann wiederum gibt es drei oder vier knallige Buh-Effekte nacheinander. Die Qualität der Schocks ist sicherlich nicht unterirdisch. Erprobte Horrorgucker sollten aber die meisten Geisterbahnelemente vorausahnen können. Oft springt etwas plötzlich aus der Dunkelheit hervor, schlagen Türen unvermittelt zu, während es auf der Tonspur bedrohlich donnert. Das kleine Einmaleins des Gruselkinos eben!

Schauspielerisch ragt vor allem „Yellowjackets“-Darstellerin Sophie Thatcher hervor. Mit ihrer Verzweiflung und Wut transportierenden Performance bildet sie ein Gegengewicht zum schlingernden Kurs des Films, der seine Charakterbögen im dritten Akt etwas zu bequem zu einem Ende bringt. „The Boogeyman“ ist deshalb kein echter Reinfall. Den oben genannten Horrorwerken über Verlust und familiäre Sprachlosigkeit kann er bei Licht betrachtet aber nicht das Wasser reichen.

 

Christopher Diekhaus

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