The Card Counter

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Ein Mann der einfachen Filme war Paul Schrader nie. Er selbst ist es auch nicht. Der US-Vertrieb Focus bat ihn freundlich, aber nachdrücklich, sich rund um den Release von „The Card Counter“ von den sozialen Medien fernzuhalten. Denn Schrader ist ein streitbarer Mann. Die Hauptfigur seines neuen Films ist es nicht. Oscar Isaac spielt einen Verhörspezialisten, der für Kriegsverbrechen im Gefängnis saß, und jetzt als Kartenzähler in Casinos sein Geld macht. Das Ergebnis ist vielleicht einer der eindrucksvollsten Filme zum Thema Irak-Krieg.

Website: www.weltkino.de/filme/the-card-counter

USA / Großbritannien / China 2021
Regie: Paul Schrader
Buch: Paul Schrader
Darsteller: Oscar Isaac, Tiffany Haddish, Tye Sheridan
Länge: 111 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 3.3.2022

FILMKRITIK:

William Tell (Oscar Isaac) war als Soldat in Abu Ghraib stationiert. Er wurde als Verhörspezialist von Major Gordo (Willem Dafoe) ausgebildet. Als publik wurde, was dort geschah, waren es vor allem die unteren Ränge, die dafür büßen mussten. So verbrachte auch Tell mehr als acht Jahre im Gefängnis. Wieder raus ist sein Leben eines der Einsamkeit. Er reist von Stadt zu Stadt, von Casino zu Casino und verdient so seinen Lebensunterhalt. Als Kartenzähler könnte er beim Blackjack weit mehr verdienen, aber er genießt das Leben als „anonymer“ Spieler. Bis ein junger Mann auf ihn zukommt und die Vergangenheit wieder aufgewühlt wird.

Aufgrund der COVID-19-Krise wurden die Dreharbeiten fünf Tage vor ihrem Abschluss am 16. März 2020 unterbrochen – sehr zum Ärger von Paul Schrader, der die Produzenten auf Facebook beschimpfte und erklärte, dass er seinen Film sofort abgeschlossen hätte, auch wenn es Höllenfeuer geregnet hätte. Er musste letztlich mehrere Monate darauf warten.

Schrader ist ein unbequemer, ein eigensinniger Filmemacher. Seine Werke biedern sich nicht an. Sie sind unkonventionell, aber sie atmen immer auch den Geist ihres Schöpfers. Einen Schrader-Film erkennt man, da bildet „The Card Counter“ keine Ausnahme. Der Film ist langsam erzählt. So manchem wird er wohl zu langsam sein. Aber Schrader erlaubt seinem Star Oscar Isaac, das dunkle Psychogramm eines Mannes zu zeichnen, der so wie seine Opfer im Foltergefängnis im Irak längst gebrochen ist.

Spieler tragen eine Last, erklärt William Tell als Off-Erzähler dem Zuschauer. Wenn sie mit Sponsoren arbeiten, häufen sie trotz hohen Gewinnen auch hohe Schulden an. Die abzubauen, ist kaum möglich, aber es gibt eine andere Last, die niemals schwinden wird – die Taten der Vergangenheit, die Tell noch immer heimsuchen. Er hat sich schon komplett von der Welt isoliert, aber es reicht nicht. In „The Card Counter“ erlebt man den Verfall mit, das subtile Aufbäumen, die Hoffnung, zumindest einmal etwas Gutes bewirken zu können. Bis dies misslingt. Nein, bis ihm dies genommen wird, denn dann kann er nur noch auf eine Art reagieren. Das führt zum konsequenten, reichlich niederschmetternden Finale.

„The Card Counter“ ist kein Kriegsfilm, aber er arbeitet mit den Traumata des Krieges. Die Szenen in Abu Ghraib fing Schrader in einem anderen Bildformat ein. Chefkameramann Alexander Dynan, der mehrmals mit Schrader zusammenarbeitete, benutzte dafür eine VR-Linse, die einen Winkel von 220 Grad zulässt und das Ganze wie aus einem Videospiel wirken lässt – was die Gräuel, die man hier sieht, nur noch betont.

Leichte Kost ist „The Card Counter“ nicht. Er fordert die Aufmerksamkeit und die Geduld des Zuschauers, während er die Hölle eines persönlichen Traumas mit der unwirklichen Scheinwelt der Casinos in Einklang bringt.

Peter Osteried