The East

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Systemkritik würde man nicht unbedingt in Hollywood vermuten. Doch genau von dort kommt nun dieser spannender Genrezwitter des kreativen Duos Brit Marling und Zal Batmanglij. Nach ihrem Sundance-Erfolg „Sound of my Voice“ wurde die einst von Ridley und Tony Scott gegründete Produktionsfirma „Scott Free“ auf die beiden aufmerksam. In „The East“ soll eine frühere FBI-Mitarbeiterin eine anarchistische, im Untergrund operierende Gruppe radikaler Kapitalismusgegner infiltrieren, doch dabei verläuft nicht alles nach Plan. Der Film verwebt überzeugend Thriller-Elemente mit Teilen einer Liebes- und Coming-of-Age-Geschichte. Dazu stellen Marling und Batmanglij auf der Grundlage eigener Erfahrungen eine Reihe politisch unbequemer Fragen.

Webseite: www.fox.de

USA 2013
Regie: Zal Batmanglij
Drehbuch: Zal Batmanglij, Brit Marling
Produktion: Michael Costigan, Ridley Scott, Jocelyn Hayes, Brit Marling
Darsteller: Brit Marling, Alexander Skarsgard, Ellen Page, Toby Kebbell, Patricia Clarkson, Shiloh Fernandez
Laufzeit: 116 Minuten
Verleih: Fox Searchlight
Kinostart: 18.7.2013

PRESSESTIMMEN:

"Eine Heldin wie aus der Welt von Edward Snowdon... Pat Batmanglijs Independent-Thriller könnte aktueller kaum sein."
DER TAGESSPIEGEL

FILMKRITIK:

„The system is broken, the evidence is the trash.“ Es sind jene Sätze, die man aus dem gesellschaftskritischen Spionagethriller „The East“ mit nach Hause nimmt. Gesagt hat sie eine eigentlich karrierebewusste und dabei äußerst zielstrebige junge Frau. Sarah (Brit Marling) stand früher einmal in Diensten des FBI, inzwischen ist jedoch eine private Detektei ihr Arbeitgeber. Diese kümmert sich vorzugsweise um das Ansehen zahlungskräftiger Großkonzerne, die bei ihren eigenen Geschäften wenig zimperlich sind und für den Profit mitunter über Leichen gehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Sarahs Chefin (Patricia Clarkson) beauftragt ihren ehrgeizigen Schützling schließlich mit einer durchaus heiklen Mission. Sarah soll eine militante, im Untergrund operierende Anarchistengruppe namens „The East“ unterwandern und so eine geplante Sabotageaktion gegen einen wichtigen Kunden der Detektei vereiteln. Tatsächlich gelingt es ihr schon bald, in den engen Zirkel der Gruppe aufgenommen zu werden.

Durch Sarahs verwunderte Augen betrachtet auch der Zuschauer das zunächst skurril anmutende Treiben der radikalen Aussteiger, die sich ihr Essen aus Müllcontainern besorgen und das kapitalistische System für die meisten unserer heutigen Probleme verantwortlich machen. Um dessen Missstände aufzuzeigen und die Verantwortlichen an den Pranger zu stellen, ist ihnen nahezu jedes Mittel Recht. Die Frage, ob es sich bei „The East“ um verrückte Öko-Terroristen oder doch um moderne Robin Hoods handelt, ist nur eine von vielen, die der Film mittels seiner komplexen Struktur aus Spionagethriller, Liebesgeschichte und Untergrundstudie provoziert. Hauptdarstellerin Brit Marling entwickelte die Idee zu dem Projekt gemeinsam mit Regisseur und Co-Autor Zal Batmanglij nach einem Sommer, den sie an unterschiedlichen Orten der USA bei Aussteigern, Anarchisten und sogenannten „Freeganern“ verbrachten. Diese lebten meist in autarken Gruppen, sehr naturbezogen und auf Distanz zu unserer Konsumwelt. Das Gefühl, dort in ein Paralleluniversum einzutauchen, ist in ihrem Film vor allem zu Beginn sehr präsent.

Dass eine für das Hollywood-System derart ungewöhnliche Geschichte überhaupt verfilmt wurde, ist nicht zuletzt Michael Costigan von Scott Free Productions zu verdanken, der Marling und Batmanglij nach ihrem Sundance-Erfolg „Sound of my Voice“ für eine Zusammenarbeit verpflichtete. Was der Beschreibung nach vielleicht wie ein US-Remake von „Die fetten Jahre sind vorbei“ klingt, entpuppt sich als clever konstruierter Genremix, der mit Wendungen unterhält, Suspense erzeugt und doch nie den Boden eines ausgesprochen realistischen Settings verlässt. Seine Verankerung im Zeitgeist, in Strömungen wie der Occupy-Bewegung und einer zunehmend dem Konsum gegenüber kritisch eingestellten Jugend macht aus „The East“ hochpolitisches Kino, das den Zuschauer die meiste Zeit über jedoch keineswegs belehren sondern nur zu eigenen Gedanken anregen möchte. Die selbsternannten Weltverbesserer, denen Marling und Batmanglij nie ihre Kanten abschleifen, sind hierfür die perfekte Projektions- und Reibungsfläche. So wie sich Sarah nicht zwischen Distanz und Nähe zu ihnen entscheiden kann, so ergeht es auch uns, die um eine Position und Meinung ringen – und dies bis weit nach Filmende, das dann doch einen für Hollywood nicht untypischen Hoffnungsschimmer bereithält.

Der Film operiert zumeist in einer moralischen Grauzone, aus der er seine Figuren nicht ohne weiteres entlassen möchte. Genau das macht ihn letztlich so stark. Allerdings bedeutet diese Ambivalenz nicht, dass Marling und Batmanglij zu den Themen nicht klar Stellung beziehen würden. Trotz des spannenden Undercover-Parts und der Guerilla-Aktionen der Gruppe, welche nach den Regeln eines Heist-Thrillers funktionieren, verliert „The East“ seine eigentliche Agenda nie aus den Augen. Hinzu kommt eine hochklassige Besetzung, aus der vor allem Multitalent Brit Marling (Drehbuch, Produktion, Hauptdarstellerin) herausragt. Obwohl sie die sicherlich schwierigste Rolle übernahm, erscheint ihr Spiel frei von Anstrengungen. Mal ist sie die staunende Beobachterin, dann wieder verlangt der Film von ihr Mut und Tatkraft. Zum Ende meint man gar, einen anderen Menschen vor sich zu haben. Dass man bei ihr keinen dieser Parts jemals anzweifelt, sagt viel über Marlings Überzeugungskraft aus. Sie und ihr Mitstreiter Zal Batmanglij sind Überzeugungstäter – mit einem sicheren Gespür für gutes Kino und einem ausgesprochen politischen Bewusstsein.

Marcus Wessel