The Eyes of my Mother

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Zwischen gotischem Arthouse-Film und brutalem Serienkiller-Horror bewegt sich Nicolas Pesce in seinem bemerkenswerten, stilsicheren, aber auch manierierten Debütfilm „The Eyes of my Mother.“ Auf Genrefestivals lief die kurze Stilübung schon überaus erfolgreich, im regulären Kinobetrieb könnte der radikale Ton ein nicht vorbereitetes Publikum eher verstören.

Webseite: www.eyesofmymother.de

USA 2016
Regie, Buch: Nicolas Pesce
Darsteller: Kika Magalhaes, Will Brill, Clara Wong, Flora Diaz, Olivia Bond, Joey Curtis-Green
Länge: 77 Minuten
Verleih: Bildstörung/ Drop-Out-Cinema
Kinostart: 2. Februar 2017

FILMKRITIK:

Es beginnt ganz harmlos, in der amerikanischen Provinz, irgendwann vor ein paar Jahren, vielleicht auch einigen Jahrzehnten, wie so vieles bleiben auch Fragen nach Ort und Zeit im ungefähren. In einem sehr einsam gelegenen Haus mit angrenzender Scheune lebt eine Familie: Vater, Mutter und die Tochter Francisca. Alles wirkt friedlich und heimelig, die Mutter scheint portugiesischer Herkunft, erwähnt Heilige und bringt ihrer Tochter bei, wie man Tiere seziert, vor allem die Augen. Ein erster Hinweis auf das, was folgen wird, denn bald dringt das Grauen in die heile Welt ein.
 
Ein Mann taucht unvermittelt auf, bedroht Mutter und Tochter, ermordet die Mutter in der Badewanne und wird selbst vom gerade zurückkehrenden Vater überwältigt. Ganz beiläufig, meist außerhalb des Bildes erzählt Nicolas Pesce dies, so gelassen, als wäre das, was hier gezeigt wird ganz normal. Und so geht es weiter. Francisca nutzt ihre Fähigkeiten mit Nadel und Faden, um den fremden Mann am Leben zu erhalten, eingesperrt in der Scheune, ohne Augen. Diese hat sie entfernt und im Kühlfach deponiert. Im Laufe der Jahre kommt noch manches hinzu, eine junge Frau, die die nun erwachsene Francisca aus einer Bar mitgenommen hat, schließlich eine weitere Frau, deren Baby sie als ihren eigenen Sohn aufzieht, als Ersatz für die Familie, die ihr nach der Ermordung der Mutter und dem Tod des greisen Vaters, der sie nie geliebt hat, fehlt.
 
Als Psychogramm einer Serienkillerin könnte man Nicolas Pesces Debütfilm „The Eyes of my Mother“ beschreiben, als Versuch zu ergründen, was in einem Menschen vorgeht, der die meiste Zeit ein weitestgehend normales, gewöhnliches Leben führt, das aber immer wieder von grausamen Mordtaten durchbrochen wird. Eine extreme Versuchsanordnung ist das, die Pence in einer einerseits realistisch anmutenden Welt ansiedelt, die jedoch immer wieder surreal und traumhaft wirkt.
 
Gefilmt in scharfem, hartem Schwarz-Weiß, oft in langen Einstellungen, bleibt das Grauen meist außerhalb des Bildes, werden die Taten von Francisca nur impliziert, aber fast nie explizit gezeigt. Ähnlich elliptisch bleibt auch das Äußere, die Welt jenseits der abgelegenen Farm, auf der fast der komplette Film spielt. Wovon Francisca und ihre Eltern leben bleibt ebenso unklar wie die Frage, warum in all den Jahren niemand auf die Idee kommt, auf dem Grundstück nach Spuren der Mordserie zu suchen, die die Region eigentlich erschüttern müsste.
 
Zwar zeichnen sich Serienkiller- oder Slasherfilme selten durch besondere Glaubwürdigkeit aus, da Pence jedoch auf mehr aus ist, als „nur“ einen geradlinigen Horrorfilm zu drehen, fällt die oft krude Handlung umso deutlicher auf. So bleibt „The Eyes of my Mother“ am Ende vor allem eine Stilübung, eine filmische Visitenkarte, allerdings eine stilistisch überaus eindrucksvolle. Das Maß an Kontrolle über Atmosphäre, Stil und Schauspiel, das Pence hier zeigt, lässt für zukünftige Filme einiges erwarten, hoffentlich dann auch in Verbindung mit einer etwas zwingenderen Handlung.
 
Michael Meyns