The Forecaster

Zum Vergrößern klicken

 "Gier ist gut" hieß es einst in Oliver Stones "Wall Street", ein Motto, das sich nicht zuletzt immer neue Generationen von Börsenmaklern zu Herzen genommen haben. Ob auch Martin Armstrong, Hauptfigur von Marcus Vetters und Karin Steinbergers Dokumentation "The Forecaster" so ein skrupelloser Zocker ist, bleibt auch nach 90  Minuten offen, denn angesichts ihrer augenscheinlichen und durchaus nachvollziehbaren Faszination für ihr Subjekt, sind den Autoren die Grundsätze der dokumentarischen Form abhanden gekommen: kritisches Nachfragen etwa.

Webseite: www.theforecaster-film.de

Deutschland 2015 - Dokumentation
Regie: Marcus Vetter, Karin Steinberger
Länge: 92 Minuten
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart: 7. Mai 2015
 

FILMKRITIK:

Dass ein Börsenmakler 12 Jahre im Gefängnis verbringt, ist heutzutage nichts Besonderes mehr - außer der Fall ist so umstritten wie bei Martin Armstrong. Dieser wurde 1999 wegen der Durchführung eines so genannten Ponzi shemes verhaftet, also dem beliebten Schneeballsystem, bei dem immer neuen Anlegern viel Geld versprochen wird, was jedoch nur so lange gut geht, wie neue Anleger neues Geld investieren. Um viele Millionen soll Armstrong Anleger in Japan geprellt haben, saß jahrelang wegen Missachtung des Gerichts in  Untersuchungshaft und wurde schließlich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, die er bis 2011 absaß.

Danach tauchte er plötzlich wieder auf der Bildfläche der Finanzwelt auf, denn trotz allem gilt Martin Armstrong als bemerkenswert hellsichtiger Forecaster, als quasi Prophet der Finanzwelt, der Krisen, Gewinneinbrüche und andere Katastrophen erstaunlich präzise vorhersagen kann und damit seinen Kunden viel Geld bringt. Nach welchem Modell Armstrong seine Vorhersagen trifft, bleibt sein Geheimnis, doch irgendwie hat es mit dem Glauben zu tun, dass die Hochs und Tiefs, die das Leben im Allgemeinen und die Wirtschaftswelt im Besonderen bestimmen, nach bestimmten, vorhersagbaren Mustern ablaufen. Um komplizierte Zahlenfolgen geht es hier und um die Kreiszahl PI, was an Darren Aronofskys gleichnamigen Debütfilm denken lässt: Dort fühlte sich ein zunehmend durchdrehendes Zahlengenie von unbekannten Kräften verfolgt und verzettelte sich zunehmend in immer bizarrer werdenden Verschwörungstheorien.

Und hier kommt man zurück zu Armstrong, denn dieser ist davon überzeugt, dass seine Verhaftung auf eine kaum zu glaubende Verschwörung zurückzuführen ist. Wie Armstrong in langen Passagen ausführt glaubt er, einem Komplott auf die Schliche gekommen zu sein, dass Finanzturbulenzen in Russland provozieren sollte, das den damaligen Präsidenten Boris Jelzin zum Rückzug zwang und das von finsteren Kräften an der Wall Street initiiert wurde, die mit den Geheimdiensten im Bunde waren und Armstrong schließlich verhaften ließen.

Wie sich das für eine Verschwörungstheorie gehört, hört sich das gleichermaßen faszinierend wie unglaubwürdig an, doch die Autoren von "The Forecaster", der Dokumentarfilmer Markus Vetter ("Das Herz von Jenin") und die Journalistin Karin Steinberger, scheinen Armstrongs Ausführungen für bare Münze zu nehmen. Keine kritischen Fragen werden gestellt, keine Stimmen kommen zu Wort, die eine andere Seite der Ereignisse schildern, völlig unwidersprochen darf Armstrong seine Sicht auf die Dinge verbreiten.

Dieser fahrlässige Umgang mit einem nicht wirklich glaubwürdigen Zeugen ist umso bedauerlicher, als manche Thesen Armstrongs höchst bedenklich und bedenkenswert sind. So versteht Armstrong etwa das Prinzip der Weltwirtschaft, immer neue Schulden aufzunehmen, die mit immer weiteren Schulden beglichen werden, als gigantischen Ponzi sheme, der irgendwann unweigerlich zum Zusammenbruch der gesamten Weltwirtschaft führen muss. Angesichts der zunehmenden Krisen und Finanzprobleme, die in immer kürzeren Abständen auftreten, ein unbedingt bedenkenswerter Ansatz, doch leider fokussieren sich Vetter und Steinberger auf spekulative Vermutungen zu Armstrongs Verhaftung. Zu ergründen, ob Armstrong wirklich substanzielles über die Strukturen der Weltwirtschaft zu sagen hat, wäre ein lohnenswerteres Ziel gewesen.
 
Michael Meyns