The Hateful 8

Zum Vergrößern klicken

Ein Western als Kammerspiel? Ein Dialog-Tsunami, nahezu drei Stunden lang? Der größte Teil spielt in einer Hütte? Und das Ganze in Ultra Panavision 70mm Breitwand inszeniert? So wahnsinnig kann nur Cineasten-Kaiser Quentin sein! Gut ein Vierteljahrhundert nach „Reservoir Dogs“ mischt Tarantino abermals die Genre-Karten neu. Coole Kopfgeldjäger und gnadenlose Gangster treten im Schneesturm zum Showdown an – und purzeln in einen „Who’s done it“-Krimi mit rabiater Rassismus-Debatte. Mit einem Ensemble der Extraklasse sowie der schon traditionell visuellen Virtuosität präsentiert der einstige Videotheken-Angestellte QT einen wahrlich wilden Western mit Wow-Effekten.

Webseite: www.thehateful8.de

USA 2015
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins, Tim Roth, Demian Bichir, Michael Madsen, Bruce Dern
Filmlänge: 167 Minuten; FSK: ab 16 J.
Verleih: Universum Film, Vertrieb: Disney
Kinostart: 28.1.2016
 

FILMKRITIK:

„Der achte Film von Tarantino“, meldet der Vorspann mit statistischem Stolz. Mit einer opulenten Ouvertüre beginnt der Maestro sein Western-Werk: Zu den pompösen Klängen von Soundtrack-Ikone Ennio Morricone donnert eine sechsspännige Kutsche im Schneegestöber durch die endlosen Weiten des wilden Westens. Als moralischer Zeigefinger ragt im Vordergrund ein geschnitzter Jesus am Kreuz ins Bild.
 
Zu den illustren Passagieren der Kutsche gehören Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell), seine Gefangene Daisy Domergue (oscarreif: Jennifer Jason Leigh), der selbsternannte Sheriff Chris Mannix sowie Ex-Soldat Marquis Warren (Samuel L. Jackson). Wegen eines starken Schneesturms sucht die Reisegruppe Zuflucht in einer Hütte. Dort wärmen sich bereits andere Gäste auf, darunter ein alternder General (Bruce Dern), der Mexikaner Bob sowie Oswaldo Mobray (Tim Roth), nach eigenen Angaben der offizielle Henker. Den anfänglichen Nettigkeiten folgen kleinere Provokationen, die sich zu fatalen Scharmützeln steigern. Ein Kännchen Kaffee kann nur kurzzeitig für Gemütlichkeit sorgen, bevor eine gar garstige Hüttengaudi immer mehr Opfer unter diesen nicht ganz so glorreichen Acht fordert. Wer freilich glaubt, er wisse wie der Western-Hase laufe, dürfte sein kleines Überraschungswunder erleben. 
 
Bei der Darstellung von Gewalt geht es traditionell deftig zu. Im Unterschied zu gängigen Genre-Konventionen sind die schmerzhaften Folgen brutaler Attacken freilich nicht ausgeblendet, sondern die Qualen stets lautstark zu hören – von einer sadistisch voyeuristischen Schlachtplatte ist dieser Tarantino weit entfernt. Im schier endlosen Geplapper, bei dem sich immer wieder rabiate Rassismus-Debatten entzünden, finden sich allerlei Dialog-Perlen, die potenzielle Klassiker-Qualitäten besitzen. „I got my warrant, Oswaldo!” oder „A bastards work is never done!“ dürften allemal als T-Shirt-Aufdrucke taugen. Dem hochkarätigen Ensemble macht das Cowboy-Spiel sichtlich Vergnügen. Dass Christoph Waltz diesmal nicht dabei ist, mag manchen als Wermutstropfen erscheinen. Doch Tim Roth gibt den mysteriösen Henker mit vergleichbar lakonischer Lässigkeit und cooler Eleganz.
 
Für quentineske Komik ist gleichfalls gesorgt. Sei es mit dem Macho, der sehnsüchtig seine Mama an Weihnachten besuchen möchte, einem unfreiwilligen Blowjob unter Männern im Schnee oder exzessiven Brechreiz-Attacken exorzistischer Ausmaße. Visuell erweist sich der Regisseur mit virtuoser Verspieltheit: Raum ist in der kleinsten Hütte, selbst für eine 70mm Kamera. Wie vergnüglich Suspense bis zur letzen Minute dramaturgisch ausgereizt werden kann, ist gleichfalls in Perfektion zu erleben. Ob zum „Stille Nacht“ Klaviergeklimper oder bei jener höchst höflichen Damen-Begrüßung der Revolverhelden Wenn man sich an das überschäumende Palaver einmal gewöhnt hat, erwartet einen hochkarätiger Premium-Western mit Wow-Effekten.
 
Dieter Osswald
 
------------------------------------------------------------------------------------
 
Der neue Tarantino ist da. Also überall, sogar im Internet, nur in Deutschland kommt er erst mit Wochen Verspätung am 28. Januar. Zudem versucht der Verleiher, die Presse zu zensieren. Erst am 15. Januar soll man sich äußern dürfen. Deshalb schon mal schnell vorweg: Quentin Tarantinos 8. Film ist wiederum beachtlich: Ein Western mit Musik von Ennio Morricone - was sonst bei diesem Fan des Spaghetti-Western? Eine leicht verschachtelte Geschichte - wie als Hommage an den eigenen ersten erfolgreichen Film "Pulp Fiction".
 
Aus den üblichen Weiten des Westens zwängt Tarantino seine sehr profilierten Protagonisten mit ihren skurrilen Vorgeschichten in eine eingeschneite Postkutschen-Station, um dort ein brutales und blutiges Kammerspiel zu inszenieren. Wie immer in aberwitzigen und ausgedehnten Dialogen unterhalten sich die Kopfgeldjäger John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russell) und Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) über Vor- und Nachteile ihres Berufes. Ruth hat die Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) per Handschelle am Arm. Sie ist 10.000 Dollar wert, die drei tiefgefrorenen Leichen, auf denen Warren anfangs sitzt, zusammen 8.000. Doch in der kuscheligen Herberge warten weitere schillernde Gestalten, unter denen Ruth ein paar Komplizen seiner Beute vermutet. Michael Madsen („Reservoir Dogs“, „Kill Bill“) gibt den stillen Cowboy Joe Gage, Bruce Dern den Konföderierten-General Sandford Smithers und Tim Roth („Pulp Fiction“) den Henker Oswaldo Mobray.
 
Hier blättert beim über fast drei Stunden unterhaltsamen Gemetzel erstmals der blutige Lack ab: Tim Roth, ein großartiger, sagenhafter Schauspieler, der immer wieder überraschen kann, fungiert hier in jedem Satz und jeder Geste nur als Ersatz für Christoph Waltz, der nach „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“ diesmal nicht mit Tarantino mitspielt. Eine irritierende Schande. Irgendwann reitet auch eine coole Kutscherin vorbei, die blond und keck nach der Besetzung durch Uma Thurmann schreit.
 
Recht selbstverliebt lässt sich Tarantino viel Zeit mit dem gegenseitigen Niedermetzeln seiner Figuren. Das ist meist ok, seine Darsteller laufen zu großer Form auf, die Bilder sind anständig. Samuel L. Jackson ficht wenige Jahre nach dem Bürgerkrieg noch einige Nachhut-Gefechte und persönliche Rache-Aktionen mit den Schwarzen-Hassern aus den Südstaaten aus. Tarantino schlägt sich wieder auf die Seite des schwarzen Helden, auch wenn hier sehr oft Nigger gesagt wird.
 
Vor allem erzählt der überschätzte Regisseur in aller Breite von 70mm-Bild und Zeit. Trashig wirkende Schärfenverlagerungen sind sicherlich wieder irgendwelche Referenzen an irgendwelche verkannte Meister der 70er-Jahre, doch sie bleiben trotzdem billig und nervig. Am Ende, wenn fast alle mäßig originell hingemetzelt wurden, wenn der Boden mehrfach mit Blut besprüht ist, macht sie sich wieder bemerkbar, die große Leere hinter all den Kunststückchen und Mätzchen von Tarantino. Soll uns etwa das Schlussbild von „The Hateful 8“ erzählen, dass die hässliche Fratze des Rassismus gegen die erfolgreiche Zusammenarbeit von Schwarz und Weiß verlieren muss? Ziemlich simpel wäre das, aber es ist ja auch ein Tarantino-Film!
 
Denn nach zwei Gewalt-Akten, „Django Unchained“ und „Inglourious Basterds“, die tatsächlich ein Thema hatten, muss man wieder feststellen, dass der Film-Nerd Quentin Tarantino zwar sehr viel zeigen kann, nämlich wie viel Tausende Filme er aus seinem Kopf heraus zitieren kann, aber zu sagen hat das große Spiel-Kind Hollywoods mit all seinen Möglichkeiten: Nichts. Was besonders erschreckend auffällt, wenn Tarantino in Interviews mehr als Scherze und Zitate abliefern soll. Dann kommt trotzig und unflätig das große Kind heraus. Vor allem, wenn man etwas Durchdachtes über die Gewalt in seinen Filmen hören will. Worauf er mittlerweile referieren kann, sind starke Frauen-Figuren und der Kampf um Gleichberechtigung für Afroamerikaner. Allerdings zeugen unpassende Begriffe wie "Holocaust der Native Americans" und "Holocaust der Afroamerikaner" von nicht besonders viel Diskurs-Erfahrung. „The Hateful 8“, der sehr unterhaltsame 8. Film von Tarantino lässt vor allem hoffen, dass sein „8 1/2“ mal etwas ganz anderes sein wird.
 
Günter H. Jekubzik