The Hole in the Ground

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Seit seiner Weltpremiere auf dem Filmfestival in Sundance gilt „The Hole in the Ground“ als Geheimtipp des an Geheimtipps nicht gerade armen Horrorgenres. Wie die besten Genrevertreter greift der Film gesellschaftliche Ängste auf, hier in Form einer Mutter, die eine regelrechte Abscheu gegenüber ihrem Jungen entwickelt – eine gesellschaftliche Todsünde, das Dasein als Rabenmutter. Der Ire Lee Cronin strickt daraus ein atmosphärisches Gruselstück. Das Kinodebüt erfindet das Rad des Genres zwar nicht neu, funktioniert aber als packender Psychotrip, der insbesondere schauspielerisch überzeugt.

Webseite: www.weltkino.de

Irland 2019
Regie: Lee Cronin
Drehbuch: Lee Cronin, Stephen Shields
Darsteller/innen: Seána Kerslake, James Quinn Markey, Simone Kirby, Steve Wall, Eoin Macken, Sarah Hanly, James Cosmo, Kati Outinen
Laufzeit: 90 Min.
Verleih: Weltkino
Kinostart: 16. Mai 2019

FILMKRITIK:

Langsam holt die Realität das Horrorkino ein. Bei Wohnungswechseln zum Beispiel. Wer heute eine Bleibe hat, verlässt sie kaum freiwillig. In Horrorfilmen war es noch nie eine gute Idee, umzuziehen. In Klassikern wie „Rosemaries Baby“ oder „Amityville Horror“ rauben übergriffige Nachbarn und Spuk den Neueigentümern den letzten Nerv. Noch ärger wird der Umzug mit Kindern, die dem Dämonischen meist zuerst begegnen und sich sodann selbst zu Horrorerscheinungen wandeln. Überhaupt haben sich Kinder etwa in „Das Omen“ schon oft als effektive Träger des Grauens erwiesen.

Der irische Genrebeitrag „The Hole in the Ground“ setzt beide Traditionen fort – und knüpft auch sonst an tradierte Horrorfilmmotive an. Als die alleinerziehende Sarah (Seána Kerslake) und ihr kleiner Sohn Chris (James Queen Markey) in eine ländliche Gegend in Irland ziehen, fällt dem Kind die Eingewöhnung schwer. Nach einem Disput flüchtet Chris in den Wald hinter dem Haus. Auf der Suche nach ihm entdeckt Sarah einen großen Krater, der alles um ihn herum zu verschlingen scheint. Daneben steht Chris, scheinbar unversehrt. Doch fortan spürt Sarah, dass der Junge verändert ist. Ist Chris überhaupt noch ihr Sohn, wurde er womöglich ausgetauscht, verhext, anderweitig infiltriert? Oder verliert Sarah den Verstand?

Die Frage, ob Chris ein Anderer ist oder Sarah die Wesensveränderung nur imaginiert, bildet die zentrale Triebfeder des Plots. Für die zweite Option spricht, dass Sarah, die aus einer gewalttätigen Beziehung geflohen ist, viel Stress hat und zudem Medikamente nimmt. Vielleicht ist es wie im Horrorhit „Der Babadook“ die gestörte Bindung zum Kind, die Sarah in den Wahnsinn treibt. Erst hat sie bei der Wahl des Vaters „versagt“, jetzt noch als Mutter? Andererseits verspeist Chris plötzlich fette Spinnen und krabbelt wie ein Tier durchs Zimmer...

Daraus, dass der Regisseur und Co-Autor Lee Cronin die Hintergründe offen lässt, bezieht „The Hole in the Ground“ viel Spannung. Der Langfilmdebütant legt die üblichen falschen Fährten und lässt die Paranoia immer mehr Raum einnehmen. Dass am Ende eine befriedigende Auflösung fehlt, ist verschmerzbar. Erstens flößt das Unbestimmte meistens mehr Angst ein als das Erklärbare, zweites gelingt es Cronin, auch ohne Gewaltszenen eine schneidende Atmosphäre aufzubauen, bei der das Unbehagen der Protagonistin das Publikum erfasst.

Und das, obwohl die Inszenierung und der klassische Score von Stephen McKeon („Black Mirror“) die Standards des Genres rekapitulieren. Da huschen Schatten über Wände, die Dielen im gespenstischen Haus knarren und das Licht flackert, wenn es überhaupt mal eingeschaltet wird. Auch die vielen Spiegelungen und perspektivischen Verzerrungen gehören zum Repertoire von Filmen, die veränderte Identitäten behandeln.

Lee Cronin fügt die erprobten Motive allerdings so stringent zusammen, dass sich sein Debüt trotzdem innovativ anfühlt. Steine im Brett sind Seána Kerslake und James Queen Markey als Mutter und Sohn. Während Markey den Grusel unter der Oberfläche brodeln lässt, fungiert Kerslake sehr überzeugend als Identifikationsfigur. Wie Sarah rätseln die Zuschauerinnen und Zuschauer, was denn nun vorgefallen ist. Das verbindet.

Christian Horn