The House that Jack built

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Ein Serienkillerfilm von Lars von Trier. Da weiß man einerseits was man erwarten kann, nämlich grenzwertig brutale Szenen von Morden an Frauen und Kindern, andererseits dreht das dänische enfant terrible natürlich nicht einfach einen Serienkillerfilm. Und so ist „The House that Jack built“ dann auch weniger ein Film über einen Mörder und Psychopathen, als ein Film über die Kunst und ihre Rolle in der Gesellschaft, über Künstler und damit auch über von Trier selbst.

Webseite: www.thehousethatjackbuilt-film.de

Dänemark/Frankreich/Deutschland 2018
Regie & Buch: Lars von Trier
Darsteller: Matt Dillon, Bruno Ganz, Uma Thurman, Siobhan Fallon Hogan, Sofie Gråbøl, Riley Keough, Jeremy Davies
Länge: 155 Minuten
Verleih: Concorde
Kinostart: Herbst 2018

FILMKRITIK:

In den späten 70er Jahren lebt und mordet Jack (Matt Dillon) im Nordwesten der USA. Mit seinem Wagen fährt er durch die Gegend, nimmt manchmal eine Anhalterin (Uma Thurman) mit, der er den Schädel einschlägt, erschießt eine Affäre (Sofie Gråbøl) und deren zwei kleine Söhne und bewahrt deren – und all die anderen Leichen – in einem Warenhaus auf, wo er sie zur Erfüllung einer perfiden architektonischen Vision benutzt.
 
Denn Jack hat einst davon geträumt, Architekt zu werden, doch dazu hat er es nicht geschafft, ein Scheitern, dass ihn anzutreiben scheint, dass seine Gedanken füllt, seinen Hass. Von all dem erzählt er einem Mann, der lange Zeit nur als Stimme existiert, die Stimme von Bruno Ganz, dem Jack seine Geschichte erzählt (oder beichtet), ein Mann, der sich als Führer durch die Unterwelt herausstellt, als Jacks Vergil.
 
Spätestens wenn dieser Name fällt dürfte klar sein, was Lars von Trier in seinem neuen Film erzählt: Sein Jack ist Dante, der von Vergil in die Unterwelt geführt wird, wo er mit den Folgen seiner Taten konfrontiert wird. Der kleine, feine Unterschied ist nur, dass es bei von Trier im Gegensatz zu Dantes „Göttlicher Komödie“ keinen Ausweg aus der Unterwelt gibt, kein Paradies, in dem die holde Beatrice wartet, keine Erlösung.
 
Selten jedoch war die Hölle im Kino so atemberaubend schön, wie in den letzten Minuten von „The House that Jack built“. Hier zeigt von Trier einmal mehr seine ganze Klasse, aber auch seine Lust an der Provokation, an radikalen Ideen, die mal provozieren, mal ins zynische, plakative abzudriften drohen. Gerade da sein Film in Cannes Premiere hatte kann man nicht anders, als an das Ereignis zurückdenken, dass vor ein paar Jahren, als von Trier „Melancholia“ an der Croisette präsentierte, einen Skandal auslöste und ihn für kurze Zeit zur persona non grata werden ließ: Damals hatte von Trier bei der Pressekonferenz in einem wilden Redefluss ein gewisses Verständnis für Hitler gezeigt, bzw. eine Formulierung benutzt, die missverstanden werden konnte – und natürlich auch wurde.
 
Hier ist es nun Jack, der in einer seiner vielen analytischen Passagen, in denen er über sich, sein Wesen, seine Ziele und Träume räsoniert, auch über die Architektur, also die Kunst des Faschismus spricht, unterlegt mit rasant geschnittenen Bilder von den Machtbauten der Nazis. Die Frage, die aufgeworfen wird, ist einfach: Muss man diese Gebäude verachten, weil sie im Namen eines menschenverachtenden Systems entstanden sind? Oder stehen sie – steht die Kunst – für sich, unabhängig von der Person oder dem System dahinter?
 
Gerade von Trier selbst wurde im Laufe seiner Karriere immer wieder vehement angegriffen, wurde als frauenfeindlich bezeichnet, weil er in seine Filmen Figuren zeigte, die frauenfeindlich waren, wurde auf oft naive Weise mit der Welt gleichgesetzt, über die er in seinen Filme erzählte. Ein wenig mutet „The House that Jack built“ nun an wie der Film von einem Mann, von einem Künstler, dem inzwischen alles egal ist, der bewusst provoziert, der möglichst harte Bilder zeigen, der schockieren will. All dies droht immer wieder die Komplexität der Gedankenwelt von Triers zu überschatten, der seine Filme zunehmend analytisch aufbaut: Schon „Nymphomaniac“ war von einem Zwiegespräch geprägt, einer ausufernden Diskussion, die nicht zufällig wie ein Gespräch zwischen Therapeut und Patient wirkte. Inwieweit sich von Trier selbst in seine Filme einbringt, ist eine von außen kaum zu beantwortende Frage, angesichts der vielfältigen Bezüge zu seiner Person, den Ideen, die seine Filme durchziehen, den Vorwürfen, die gegen ihn vorgebracht werden, mutet „The House that Jack built“ jedoch immer wieder an wie Kino als autobiographische Psychotherapie. Wie dem auch sei: Radikaleres, ungewöhnlicheres, eigeneres wird man dieses Jahr im Kino in jedem Fall kaum zu sehen bekommen.
 
Michael Meyns