The Inspection

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Die wahre Geschichte eines jungen Afro-Amerikaners, der von der religiösen Mutter wegen seinem Schwulsein verstoßen wird und auf der Straße landet. Bei den Marines hofft Ellis auf einen neuen Sinn im Leben und auf die Anerkennung der Mama. Doch werden die Schikanen schlimmer, als die sexuelle Orientierung des Rekruten entdeckt wird. Bei einem der Ausbilder findet Ellis immerhin einen Rest von Unterstützung. Kann auch die Mama über ihren homophoben Schatten springen? Eindrucksvolles Regiedebüt, das auf plausible Figuren setzt und Klischees gekonnt umgeht. Jeremy Pope bescherte sein starker Auftritt eine Golden Globe Nominierung. Ein queeres „Full Metal Jacket“, das bewegt und unter die Haut geht.

Webseite: https://www.x-verleih.de

USA 2022
Regie: Elegance Bratton
Darsteller: Jeremy Pope, Gabrielle Union, Bokeem Woodbine, Raúl Castillo, McCaul Lombardi, Nicholas Logan
Filmlänge: 95 Minuten

Verleih: X-Verleih AG
Vertrieb: Warner Bros. Entertainment
Kinostart: 8. Juni 2023

FESTIVALS: Toronto Film Festival 2022

FILMKRITIK:

„Hast du wieder Probleme?“, fragt die Mutter missmutig hinter der verriegelten Tür. Ihr Sohn Ellis (Jeremy Pope) besucht sie, um zu erzählen, dass er sich für die Marines verpflichtet hat. Die Mama in der mit religiösen Devotionalien eingerichteten Wohnung reagiert schroff. „Ich habe dich abgeschrieben!“, betont sie abschätzig. Vor fünf Jahren hat sie ihren damals sechzehnjährigen Sohn verstoßen weil er schwul ist. Mehr schlecht als recht hat der afroamerikanische Teenager sich auf der Straße herumgeschlagen. Jetzt will Ellis seinem Leben mit dem Militärdienst einen neuen Sinn verleihen und seine Mutter damit zurückgewinnen. Derweil in den Fernsehnachrichten über getötete US-Soldaten im Irak-Krieg berichtet wird.

Kaum aus dem Bus vor der Kaserne ausgestiegen, beginnt der Drill. „Ich werde euch zerstören!“, brüllt der Ausbilder die jungen Männer an. Ellis erweist sich als zäher Rekrut. Nach einem banalen Zwischenfall unter der Gemeinschaftsdusche wird er als schwul gebrandmarkt und mit Billigung des Ausbilders von seinen Kameraden brutal misshandelt. Für den Außenseiter beginnt ein Spießrutenlauf voller Schikane und Beleidigungen. Allein in einem arabischen Kameraden entdeckt er einen Verbündeten. „Wenn wir aufgeben, gewinnen sie!“, beschließen die Geächteten. Bei einem verständnisvollen Ausbilder findet Ellis zumindest einen Rest von Unterstützung und Zuspruch.

„Schmerz ist Schwäche, die aus dem Körper weicht!“, lautet derweil das großspurige Macho-Motto der gnadenlosen Schleifer. Lebensbedrohliche Zwischenfälle werden wie selbstverständlich in Kauf genommen. Aber Ellis beißt sich durch, übersteht alle Angriffe und Intrigen. Zur Abschlussfeier erscheint tatsächlich seine Mutter. Doch deren Besuch wird weniger harmonisch verlaufen als erwartet und endet mit einem Eklat sowie unerwarteten Wendungen.

Mit seinem eindrucksvollen Spielfilmdebüt erzählt Elegance Bratton seine eigene Geschichte, die zugleich ein Kapitel über Intoleranz, Diskriminierung und Homophobie in den USA darstellt. Die eigenen Erfahrungen bei der unmenschlichen Ausbildung der Marines sorgen für die notwendige Authentizität bei diesem queeren „Full Metal Jacket“. Anno 2005 lautete das offizielle Motto im US-Militär noch „don’t ask, don’t tell“. Ein Coming Out in Uniform galt als undenkbar. Gleichwohl wusste man sehr wohl um die sexuelle Orientierung der Soldaten: „Wenn wir alle Schwule aus der Armee werfen, gäbe es keine Marines mehr“, kommentiert an einer Stelle jener Ausbilder, der die Schleifer-Methoden seines Vorgesetzten nicht länger dulden will. Eine solch ambivalente Figur zu zeigen, zählt zur dramaturgischen Cleverness des Dramas, welches Konflikte nicht im Klischee stecken lässt, sondern die Widersprüche ganz bewusst darstellt. Sehr gelungen geschieht das beim Porträt der Mutter. Da scheint das Happy-End samt Versöhnung bereits in der Tasche. Doch denkste! Ebenso überraschend erweist sich das Verhalten der Soldaten bei der Abschluss-Feier. So bekommt die atmosphärisch dichte, rundum glaubwürdige Geschichte in der Zielgeraden noch einige emotionale Achterbahn-Einlagen der überraschenden Art.

Hauptdarsteller Jeremy Pope wurde für seine starke Darstellung für den Golden Globe nominiert. Dass es für den Oscar nicht gereicht hat, nimmt er gelassen, wie er dem „Guardian“ erzählt: „Wir waren der kleine Indie-Film, der es konnte. Wir haben es das 19 Tagen mit einem begrenzten Budget gedreht. Dass wir überhaupt Teil des Gesprächs waren – das ist der Gewinn.“

 

Dieter Oßwald