Bei der Arbeit an „Das Herz von Jenin“ kam Regisseur Marcus Vetter auch mit Luis Moreno Ocampo in Kontakt, dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Aus der Begegnung wurde eine Dokumentation, die mehr den Menschen Ocampo porträtiert als die Institution ICC, aber dennoch interessante Einblicke in die komplizierte Welt des internationalen Rechts gibt.
Webseite: www.bukerapictures.com
Deutschland 2013 - Dokumentation
Regie, Buch: Marcus Vetter, Michele Gentile
Länge: 86 Minuten
Verleih: Bukera Pictures
Kinostart: 2. Mai 2013
PRESSESTIMMEN:
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FILMKRITIK:
Der internationale Strafgerichtshof ist eine der ambitioniertesten Errungenschaften der Staatengemeinschaft. 1998 durch das Rom-Statut ins Leben gerufen, bemüht sich das Gericht mit Hauptsitz in Den Haag, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu ahnden. Dass größte Problem dabei ist, dass etliche der mächtigsten Länder der Erde den ICC nicht vollständig anerkennen: die USA, China, Russland, Iran, Indien, Somalia und nicht zuletzt Israel. Verbrechen, die von Vertretern dieser Länder verübt werden, können vom ICC also nicht verfolgt werden, was dazu führt, dass die Zweiklassengesellschaft der Internationalen Politik fortbesteht.
Es war der Fall Israel, der Marcus Vetter während der Dreharbeiten zu „Das Herz von Jenin“ zum ersten Mal in Kontakt mit Luis Moreno Ocampo brachte, dem ersten Chefankläger des ICC. Im Gaza-Streifen und der Westbank verübte Kriegsverbrechen von Israel konnten vom ICC nicht untersucht werden, da Palästina (noch) kein anerkannter Staat der UN ist. So sehr ihm das Problem bewusst ist, pocht der Argentinier Ocampo im Verlauf von Vetters und Michele Gentiles Dokumentation immer wieder darauf, dass er sich strikt an das Gesetz hält und nur dort ermittelt, wo es ihm von der Internationalen Gemeinschaft erlaubt wird. Die vielfältigen politischen Fragen hinter dieser Doppelmoral, der problematischen Legitimation des ICC und die Einflussnahme von außenstehenden Akteuren bleiben somit weitestgehend Randthema. Eine komplexe Beschreibung der Vorzüge und Probleme des ICC darf man von „The Court“ also nicht erwarten. Stattdessen steht ganz der Chefankläger Ocampo im Mittelpunkt – was dem ebenso souveränen, wie eitlem Anwalt fraglos gefallen hat.
Umfassenden Zugang hatten die Regisseure zu Ocampo, beobachten ihn auf Reisen, im Büro, bei Sitzungen und nicht zuletzt bei der PR-Arbeit. Kein Wunder also, dass der Film mit Angelina Jolie beginnt, die sich neben vielem anderen auch für den ICC einsetzt. Später wird sie die Büros des ICC besuchen, um bei dem ersten großen Prozess anwesend zu sein. Dass Ocampo sie ganz jovial begrüßt und sich augenscheinlich selbst als Star unter gleichen fühlt, zeigt, welche gesundes Ego der Argentinier mitbringt. Dabei gerät allerdings die Detailarbeit an den Fällen bisweilen etwas in Vergessenheit, wie spannende Szenen vor Gericht zeigen, in denen sich Ocampos Team deutliche Kritik des Richters anhören muss.
Dieser erste große Prozess des ICC, bei dem der aus dem Kongo stammende Rebellenführer Thomas Lubanga wegen des Einsatzes von Kindersoldaten angeklagt wurde, ist der lose rote Faden des Films. Doch nebenbei werden zahlreiche andere Themen angerissen: Neben Ocampos beruflichem Werdegang als Ankläger während der Prozesse gegen die argentische Militär-Junta, sieht man ihm mal in New York bei der UN, dann in Libyen, später im Gespräch mit Benjamin Ferencz, dem inzwischen 93jährigen Chefankläger der Nürnberger Prozesse. Der Bogen, der hier von Nürnberg nach Den Haag geschlagen werden soll, bleibt dabei jedoch leider so kurz und abgehackt wie weite Teile des Films. Kaum mehr als 80 Minuten nehmen sich Vetter und Gentile Zeit und versuchen in der Kürze viele, vielleicht zu viele Aspekte anzureißen. Dass etliches dabei zu kurz kommt, ist kaum zu vermeiden, dennoch bietet „The International Criminal Court“ eine interessante Einführung in ein wichtiges Thema.
Michael Meyns
Hochbrisante Politdoku mit prominentem Star-Support: Angelina Jolie ist eine der Zugpferde, die im brisanten Film über den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) auftauchen. Im Fokus steht allerdings ein anderer: der ehemalige Chefankläger Luis Moreno Ocampo, der an zahlreichen Fronten rund um den Globus gegen Diktatoren, Kriegsverbrecher oder den Missbrauch von Kindersoldaten vorgeht. Ein knallharter und streckenweise ernüchternder Film, der einem das komplexe Geflecht aus internationalen Strafgesetzen auf spannende Weise näherbringt, aber Szenen von expliziter Gewalt nicht ausspart.
Man kennt die Bilder aus den Nachrichten und von Reportage-Formaten wie „Weltspiegel“ oder „Auslandsjournal“: Man sieht Diktatoren und politische Führer wie Slobodan Milosevic, die einst mit eiserner Willkür an der Regierungsspitze standen und über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte Kriegsverbrechen von unfassbarem Gräuel und Ausmaß angeordnet haben. Jetzt sitzen sie vor den holzvertäfelten Wänden des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Manchmal hinter transparentem Panzerglas. Manchmal auch davor, wenn sie als ihr eigener Anwalt auftreten. Auf der anderen Seite steht sehr häufig ein Mann mit grauem Dreitagebart, der mit spanischem Akzent spricht und weltweit einer der berühmtesten Ankläger ist: Luis Moreno Ocampo.
Der argentinische Jurist war bis Sommer 2012 Chefankläger des ICC und fast zehn Jahre den globalen Verbrechern auf der Spur. Bereits 1984 erlangte er weltweite Berühmtheit, als er dem Staatsanwalt Julio Cesar Strassera als Assistent zur Seite stand, als die Generäle der argentinischen Militärdiktatur angeklagt wurden. Fast 30 Jahre später folgen ihm die Regisseure Marcus Vetter und Michele Gentile und zeigen im Stile eines Justiz-Thrillers, wie Ocampo unzählige Puzzleteile sammelt, um an verschiedenen Kriegsschauplätzen für Gerechtigkeit zu sorgen: in Libyen, wo Gaddafi zu wanken beginnt, im Kongo, wo Kindersoldaten rekrutiert werden und im undurchsichtigen Gazakrieg, wo immer noch täglich Raketen in den Himmel steigen. Gegen den sudanesischen Präsidenten Umar Hasan Ahmad al-Baschir hat er sogar 2008 einen Haftbefehl wegen Völkermordes erwirkt. Hinter Gittern ist er immer noch nicht.
Dem durchaus sperrigen und komplexen Sujet begegnen die Regisseure mit einer Mischung aus Schönheit und Gewalt: Schauspielerin Angelina Jolie und der ehemalige Chefankläger von Nürnberg, Ben Ferencz, reisen nach Den Haag, um gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga Dyilo auszusagen, der Kinder zu Soldaten macht. Die rechtschaffende Rhetorik kontrastiert die Doku mit schonungslosen Aufnahmen von Polizeigewalt, wenn Staatsgegner niedergeknüppelt oder misshandelt werden. Diese explizite Form findet in den Nachrichtenkanälen nur selten statt, gibt dem Film aber eine eindringliche Wucht. Über Recht und Schuld braucht der Zuschauer anhand dieser Bilder nicht zu urteilen – komplizierter wird es, wenn das Regie-Duo die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten von Chefankläger Ocampo zeigt, der die Stirn in Falten legt, weil Staaten wie die USA, Russland oder China die eigentlich international anerkannte Rechtsauslegung des ICC wiederholt missachten. Am Ende ist man fasziniert und ernüchtert zugleich.
David Siems
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ahndet Kriegsverbrechen. Grundlage ist das sogenannte Rom-Statut, das Anfang dieses Jahrtausends Gültigkeit erlangte. Doch nur an die 120 Staaten (von nahezu 200) haben es ratifiziert. Wichtige Länder wie die USA, Russland, China oder Israel sind nicht mit dabei. Das schränkt die Verfolgungsmöglichkeiten stark ein. Denn nur mit „Mitgliedsländern“ macht eine juristische Verbindung in welcher Form auch immer Sinn. Ins Leben gerufen wurde die Institution wesentlich aufgrund der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien.
Vielleicht wird es eines fernen Tages eine Art Weltgerichtsbarkeit geben, damit die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gänzlich eingedämmt werden können. Das langfristige Ziel ist: jeden Krieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu deklarieren.
In diesem Film, der gleichzeitig Dokumentarfilm und Spielfilm ist, geht es um den Aufbau der Generalstaatsanwaltschaft bei diesem Gerichtshof; um den Prozess gegen den afrikanischen Warlord Lubanga Dyilo, der Kinder entführte und sie zu Kindersoldaten machte, die kämpfen, brandschatzen und morden mussten und die zum Teil selbst vergewaltigt wurden; um die Frage, an welche Gerichtsbarkeit Gaddafis Sohn Saif überstellt werden wird; auch um das Problem, in welcher Form die Palästinenser gegen Israel klagen könnten, nachdem sie nunmehr den entsprechenden UN-Status genießen. Nur ein „Staat“ kann Klage einbringen.
Drehzeit: 2009 bis 2012.
Chefankläger im Lubanga-Prozess, der nach Jahren 2012 mit einer Verurteilung abgeschlossen werden konnte, war der Argentinier Luis Moreno-Ocampo, der als jüngerer Mensch schon die Generäle der argentinischen Junta anklagte. Er hat ein gewisses Charisma, was dem Film an Schärfe nimmt; er wirbt für das internationale Gericht; er hat einen schweren juristischen und politischen Stand, weil eben so viele Staaten das Rom-Statut nicht ratifizierten. Bei ihm laufen thematisch wie filmisch die Fäden zusammen.
Viel ist noch zu tun. Es gibt Kritik. Es gibt noch keine effizienten Durchsetzungsmöglichkeiten. Es gibt noch kein Gesamtbild, geschweige denn eine Gesamtwirkung. Doch der Beginn „macht Sinn“.
Marcus Vetter und Michele Gentile haben einen juristisch wie politisch hoch interessanten und zugleich wichtigen Film geschaffen. Sie verdienen Lob – und Zuschauer.
Thomas Engel